Das Einwanderungsgesetz kommt

■ Vertreter von SPD, Grünen und FDP sind sich einig: Deutschland braucht bald eine aktive Einwanderungspolitik

Berlin (taz) – Dieser Satz sorgte für Überraschung: „Integrationspolitisch haben wir in Berlin eine Menge erreicht.“ Moderat äußerte sich Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) zum Stand der multikulturellen Gesellschaft. Kein Wort von integrationsunwilligen Ausländern, die besser in ihre Heimat zurückgehen sollten. Am Montag abend präsentierte sich ein einsichtiger Schönbohm auf der vom Zentrum für Türkeistudien und der Liberalen Türkisch- Deutschen Vereinigung (LTD) veranstalteten Podiumsdiskussion „Einwanderungsland Deutschland? Staatsbürgerschaft und politische Partizipation von Migranten“. Schönbohm sagte auch: „Ich habe bei meinen Ausführungen zur Ausländerintegration nicht die Wirkungen auf verunsicherte Deutschtürken bedacht.“

Möglicherweise inspirierte der Vortrag von Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) seinen Sinneswandel. Doppelte Staatsbürgerschaft? Für Schmidt-Jortzig kein Problem. Sie sei gängige Praxis. Tatsächlich leben zwei Millionen Doppelstaatler, Kinder aus binationalen Ehen, in Deutschland. Seit 1994 wird jede dritte der jährlich rund 300.000 Einbürgerungen unter der Hinnahme der alten Staatsbürgerschaft ausgesprochen.

Unter den relevanten politischen Kräften bestehe ohnehin Einigkeit, daß das auf das 1913 zurückgehende Staatsangehörigkeitsrecht reformiert werden muß, ein Rechtsanspruch auf Einbürgerung überfällig ist, so Schmidt-Jortzig. Lediglich in der Frage, zu welchem Zeitpunkt der Integration die Einbürgerung erfolgen sollte, herrsche Dissens. Die Konservativen wollen sie erst am Ende einer erfolgreichen Integration. Für andere ist die Einbürgerung Bestandteil eines komplexen Prozesses der Integration. In einer künftigen Regierungskoalition, versprach der Justizminister, werde die FDP darauf bestehen, daß die Abstimmung über das Staatsangehörigkeitsrecht freigegeben werde, falls erneut keine Einigkeit zu erzielen ist.

„Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes ist eine Frage von gestern“, ist Mehmet Daimagüler, Vertreter der LTD, überzeugt. Ungestüm forderte Daimagüler deshalb, jetzt darüber nachzudenken, ob die Deutschtürken nicht den Status einer nationalen Minderheit anstreben sollten. Eine Forderung, die bislang nur von nationalkonservativen Vertretern der Deutschtürken erhoben wurde, die die „Germanisierung“ ihrer Kinder fürchten.

Deutschland brauche ein Einwanderungsgesetz, forderten die Vertreter von FDP, Bündisgrünen und SPD. Deutschland müsse die Zuwanderung künftig über aktive Einwanderungspolitik regulieren – und begrenzen. Am deutlichsten formulierte der grüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir den restriktiven Charakter eines solchen Gesetzes: „Bei Familienzusammenführung muß der Unterhalt gesichert sein, die Einwanderung ist an den Nachweis eines Arbeitsplatzes zu koppeln.“ Selbst über die Höhe der sozialen Leistungen lasse er mit sich reden.

Lediglich Schönbohm stellte den Sinn eines Einwanderungsgesetzes in Frage. Die Zuwanderung verlaufe heute schon in gesetzlich regulierten Bahnen. Die 4,2 Millionen Zuwanderer, die sich zwischen 1987 und 1994 in Deutschland niederließen – EG-Bürger, Familiennachzügler und Asylsuchende –, seien auf Grundlage bestehender Gesetze eingereist. Eberhard Seidel-Pielen