„Honey, I do!“ Von Reinhard Krause

Dann klingelte es doch noch, und sie stand in der Tür. „Dat jibbet jar nit, mir hann enne Unfall jehann! Dat Auto hann wir im Städtschen stonnjelosse.“ Dies also sollte die Frau sein, die unser Vater in der Kur kennengelernt hatte und die er heiraten wollte! Mit allem hatten wir gerechnet – auf eine Stiefmutter wappnet man sich als Kind. Aber diese Sprache traf uns völlig unvorbereitet. Ich zog meinen Bruder ins Kinderzimmer und prustete ihm ins Ohr: „Do you speak English?“ Er prustete zurück: „Honey, I do!“ Giggelgiggel. Ein Glück, mein Bruder war genauso erschrocken. Wenigstens im Humor gab es einen Verbündeten.

Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Unsere Stiefmutter und ihre Kinder entpuppten sich zum Glück als nett und lustig. Wir mußten uns nur erst daran gewöhnen, daß das Radio nicht länger ausgeschaltet wurde, sobald ein Karnevalsschlager ertönte, sondern im Gegenteil bis zu Diskolautstärke aufgedreht wurde. Rheinischer Frohsinn hielt Einzug in unser stilles ostwestfälisches Elternhaus. Durch die tristeste Jahreszeit dröhnten fortan Kracher wie „Mir losse der Dom in Kölle“, „Drink doch eene mit“ oder der „Straßenbahnsong“ von Marie-Luise Nikuta. Mit der Zeit lernten wir, mit Ausdrücken wie „Himmeluneed mit Blootwoosch“ oder selbst „Stippeföttsche“ zu leben.

Erstaunt waren wir allerdings, als wir mitbekamen, daß die neue rheinische Hälfte der Familie keineswegs nur mit einer Zunge sprach. Die Mutter unserer Stiefmutter zum Beispiel kam aus dem Eifeler Raum und hatte sich von dort höchst exzentrische Ausdrücke erhalten. Ein Einkaufsbeutel beispielsweise hieß für sie wie selbstverständlich „enne Bloos“. Das freilich verstand auch in Köln kein Mensch. Notgedrungen mußte sie es mit „eine Blaas“ versuchen, was ihrer Meinung nach die hochdeutsche Übersetzung war.

Meine Stiefmutter erzählte mir in einer verschworenen Minute, daß selbst ihr, die sie in Köln aufgewachsen war, so mancher kölsche Ausdruck lange Zeit schleierhaft blieb. Eines Tages – sie war im besten Backfischalter, und die fünfziger Jahre standen vor der Tür – radelte sie durch einen der gewöhnlicheren Kölner Stadtbezirke. Ein Rüpel hängte sich an ihre Fersen. Hier hieß es hochnäsig sein und ignorieren. Doch der Verehrer fühlte sich durch Abweisung nur angefeuert. „Määdschen“, rief er irgendwann, „Määdschen, soll isch disch poppen?“ Indigniert radelte sie weiter: Mit so jemand ließ man sich besser gar nicht erst auf eine Auseinandersetzung ein. „Määdschen, soll isch disch poppen?“ Was mochte der freche Kerl bloß meinen? „Poppen“? Vielleicht war der Hinterreifen platt und der Grobian machte sich anheischig, ihr den Reifen wieder aufzupumpen – wie absonderlich!

Meine spätere Stiefmutter trat vorsichtshalber ein wenig kräftiger in die Pedalen. Der Verehrer hinterher. „He, Määdschen!“ Das klang nun wirklich fordernd. „Soll isch disch poppen?“ Hier war nichts mehr zu machen. Gleich würde er sie vom Fahrrad zerren und ihr den Hinterreifen aufpumpen, ob sie nun wollte oder nicht. Und dann wäre sie gezwungen, ihm warme Worte des Dankes abzustatten. Eine entwürdigende Vorstellung. „Ach, nein danke!“, sagte sie mit einer herablassenden Drehung des Kopfes. „Das tu ich doch wohl besser selbst.“