Stille Tage ohne Berti
: Elfer raus!

■ Elfmeterschießen ist langweilig, extrem unwürdig und muß abgeschafft werden

Das Drama des Elfmeterschießens: Es ist tatsächlich eins. Es mag Unterschiede in der Qualität, Kreativität und im Bühnenbild der jeweiligen Inszenierung geben. Aber auch die sind in der Regel minimal. Die Handlung aber ist zum Erbrechen bekannt.

Was die dienstägliche Inszenierung beim Weltmeisterschafts-Halbfinale Brasilien- Niederlande in Marseille betrifft, hätte man genausogut mal richtig aufs Klo gehen können, zu irgendeinem Zeitpunkt zurückkommen, kurz hinschauen und sagen: Ah, jetzt kommt der Moment, in dem die schwarze Macht den Spieler zwingt, den Ball noch mal anders hinzulegen. Und dann kommt auch schon der Moment, in dem der durch diesen Handlungsstrang Verunsicherung zeigende Spieler beim Anlauf zögert. Spätestens als er das tat, war klar, daß der Niederländer Phillip Cocu die Rolle des tragischen Helden zu besetzen hatte. Er lehnte sich dabei so genau an andere Inszenierungen an, daß selbst der Münchner Kollege K. sich unter mittlerem Gähnen nicht der Worte enthalten konnte: „Jetzt verschießt er.“ Natürlich verschoß er. Es brauchte keinen Fachjournalisten, das vorherzusehen.

Es ist aber deshalb interessant, weil K. eine starke halbe Stunde zuvor mit dem legendären Satz auffällig geworden war: „Jetzt bleibt uns die Verlängerung erspart.“ Dieser Satz wurde forsch geäußert, exakt fünf Sekunden, bevor Kluivert den späten Ausgleich ins Tor der Brasilianer geköpft hatte. Damit soll nun nicht gesagt werden, daß Fachjournalist K. keine Ahnung habe. Es soll gesagt werden, daß es sich um Fußball handelte – und das Wunderbare an dieser Sache das unmittelbare Eintreten der kompletten Widerlegung einer in fast 90 Minuten hart und vertretbar erarbeiteten These war.

Fußball ist, wenn keiner weiß, was passieren wird. Elfmeterschießen ist das Gegenteil. Von Fußball kann man deshalb kaum genug gesehen haben, von Elfmeterschießen hat man es inzwischen. Wenn es gestern geschehen wäre, würde sich dann heute noch einer erinnern können, wer den entscheidenden Elfer in den Himmel von Belgrad kickte – außer Uli Hoeneß? Spätestens seit Hrubesch haben sich die entscheidenden verwandelten und selbst die entscheidenden verschossenen Strafstöße verschlungen zu einem wollknäuelgroßen Wollknäuel, aus dem nur in seltenen Momenten ganz kurz einmal ein Waddle oder Baggio zu identifizieren ist.

Das angeblich in Fifa-Gremien nach dem Scheitern des Golden Goal diskutierte Golden Goal light ist wahrscheinlich eine noch schwächere Form des Golden Goal – bei einem Tor wird weitergespielt, bei Remis gewinnt aber der, der das erste Tor geschossen hat. Ergebnis? Wieder bloß Elfmeterschießen. Letzter Versuch: Ist vielleicht die richtige Auswahl der Schützen doch so spannend, daß man darüber jahrelang sinnieren könnte? „Ich wußte, ich habe die richtigen ausgesucht“, sagte Mario Zagallo. „Ich hätte Cocu nicht schießen lassen“, sagte Johan Cruyff. Geschenkt.

Es hilft nur noch die seit längerem bestehende Idee, daß jeder Trainer zu Beginn der Verlängerung und danach alle fünf Minuten jeweils einen Spieler vom Feld nehmen muß. Bis ein Tor fällt. Erstens wird es fallen, zweitens bringt der Weg dahin eine völlig neue Qualität ins Spiel. Wenn Hiddink wüßte, daß Zagallo Ronaldo runternimmt, würde er Stam abziehen. Er weiß es aber nicht – und entscheidet sich für Bergkamp. Worauf ausgerechnet Junior Baiano das Tor macht.

Es geht nicht darum, bloß simpel einen Sieger zu finden. Dann könnte man gleich Elfmeterschießen machen und wieder gehen. Es geht auch nicht um Gerechtigkeit, kann es ja nicht. Es geht darum, für wichtige, enge, große Spiele ein Ende zu finden, das angemessen ist, würdig, spannend und damit erinnerbar bleibt.

Wirklich nur ausnahmsweise, weil heute Donnerstag ist, soll noch ein Fachjournalist zu Wort kommen, der auf der verzweifelten Suche nach einer speziellen Bedeutung des dienstäglichen Ergebnisses sagte, er könne sich nicht erinnern, wann Brasilien schon mal ein so wichtiges Elfmeterschießen gewonnen habe. Wahrscheinlich wissen es nur die Bücher: 1994, im WM-Finale. pu