Mon Dieu Mondial
: Ich habe Berti

■ Die neue Durchhalteparole des DFB dürfte den Streit der Intellektuellen entfachen

Er könne so lange Trainer bleiben, wie er wolle, bekannte DFB-Chef Braun nach der Kroatien-Pleite in Gönnerlaune. Man stelle sich vor, Roman Herzog würde Helmut Kohl zum Bundeskanzler auf Lebenszeit ernennen. „Ich habe Berti“, lautet die Egidische Durchhalteparole unserer Tage. Damit ist eine Blamage ohne Konsequenzen angesagt. „Ich habe Berti“ ist so recht nach Kohls bewährter Aussitzermentalität. Aber schlimmer noch: Die unziemlichen Reaktionen von Spielern und Trainer provozieren geradewegs einen neulinken Antifaschismus. „Wieso werden wir Deutschen immer so bestraft?“ bekannte etwa Kohler nach dem Schlußpfiff, als wolle er künftig den Chefverteiler für Gerhard Freys Flugsendungen spielen. Und als habe das Match nicht in Lyon, sondern in Versailles stattgefunden, fügte der niederrheinische Verschwörungsideologe hinzu: „Das haben andere zu verantworten.“

Mit der EM in England 96 schien auch die Fußball-Denke in Deutschland umgeschlagen zu sein. Das notorische Nörgeln über die unansehnlichen deutschen Tretkünste war sinnlos geworden, nachdem die DFB- Deutschen sich auch noch als glückszwingende Meister im Elfmeterschießen erwiesen hatten. Wie also werden die intellektuellen Fußballfraktionen France 98 und das Desaster der deutschen Holzfüße verkraften – die Netzer-Nostalgiker oder philorassistischen Fankurvenspontis?

Fest steht zumindest, daß die Sozialarbeiter aller (Bundes-) Länder sich zur Rettung deutscher Hooligans vereinigen werden. Gleichzeitig dürften die Freunde des verklärten 70er- Jahre-Fußballs ihre ästhetischen Vorbehalte gegenüber Herrn Heinrich pflegen. Eine angetäuschte Körperdrehung Zidanes antizipiere mehr humane Gesellschaft als sechs Kohlergrätschen an der Außenlinie. In Helmut Böttigers fingerschnalzendem Utopieclub wird so geschwelgt. Seit Jahren ist man dort auf unentwegter Suche nach einem neuen Netzerschuster oder Schusternetzer. In Luiz Hernandez' blonder Mähne glauben sie fündig geworden zu sein. Aber nur bis zum Achtelfinale.

Netzer-Nostalgien subsumiert man mittlerweile auch unter das sogenannte Sutter-Syndrom, benannt nach einem langhaarigen Spieler im Schwarzwald mit der Rückennummer 10, der eisern 34 Spieltage seiner Form hinterherlief. Doch SC- Freiburg-Elogen möchte man inzwischen so wenig hören wie Tempo-100-Parolen. Ansonsten wird bei Böttigers Carlos Valderrama als Zsa Zsa Gabor des Weltfußballs für Madame Tussaud anmodelliert.

Nicht viel zu lachen gab es auch für die Multikultifreaks aus dem Lager der Fankurvenspontis. Sie müssen nacharbeiten, denn die Expansion des Turniers um etliche Exoten hat kaum zur spielerischen Bereicherung beigetragen. Hadji in Ehren – aber treffen mittelmäßige Europäer und ungestüme Neulinge zusammen, kommt selten ein kontemplatives Spektakel, sondern meist nur ein Scheißspiel zustande.

Schlechter dürfte es hingegen den Enttabuisierern des bloßen Siegens à la Schümer oder Bolz ergangen sein. Sie konnten sich nur über die naserümpfenden Alt-68er mokieren, solange deutsche Kicker unästhetisch reüssierten. Der letzte deutsche Sonderweg endete im Stadion von Lyon. Mit dem erneut frühen und gerechten Ausscheiden der Vogts-Truppe nach mäßigen Leistungen wurde das wiedervereinigte Deutschland endlich auch auf dem Rasen normalisiert. Die teutonischen Tugenden reichen nicht mehr aus, um den spielerisch zivileren „Rest der Welt“ mit Kohlscher Grinsebacke in die Knie zu zwingen. Norbert Seitz

Verfasser des Buches „Doppelpässe, Fußball & Politik“, Eichborn Verlag