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Laßt hundert Feuer brennen...

In Unteritalien steht der Wald in Flammen – kein Zufall. Die von der Regierung vergebenen Aufträge zur Wiederaufforstung sind ausgesprochen begehrt. Die Präventiveinheit „Guardia forestale“ wird zerschlagen  ■ Aus Kalabrien Werner Raith

Die Flüche aus dem Cockpit kann Pio Almirante live mithören: „Scheiße, meld dich doch, du müde Tüte, wo steckt denn der Kerl? Hallo, hier AFK 3, Bodenführer bitte melden, wir sind eben über Locri und fliegen in den östlichen Aspromonte, brauchen dringend Einsatzweisung.“ Drei Minuten später hat der Arme noch immer keinen Kontakt zu den Feuerlöschern am kalabrischen Aspromonte, und weitere drei Minuten, dann funkt er nur noch ein mattes „Hallo Tower, wir kehren zurück, kein Kontakt zum Bodenführer zustande gekommen.“

Pio Almirante, gelernter Physiker im unteritalienischen Kalabrien, lauscht in diesen Tagen mit seiner selbstgebauten Funkanlage vor allem in die Gespräche der „Canadair“-Piloten hinein: Die rotgelben, mit enormen Tanks ausgestatteten Flugzeuge, die im Tiefflug Meerwasser aufsaugen und dann über Bränden abspritzen, gelten in vielen Gebieten des lichterloh brennenden Unteritalien als allerletzte Rettung.

Leider verfügt das Land nur über fünf dieser Geräte, neben sechs Hubschraubern, und so ist das Gerangel um die Einsatzorte angesichts der mehr als hundert großen Brände im Land beträchtlich. Doch oft fehlt dann die Einsatzleitung am Boden – „das Wasser kann nicht einfach irgendwo ausgeschüttet werden“, erklärt Pio, „die Flugzeugführer wissen ja nicht, ob dort unten etwa Viehherden stehen, die beim Ausweichen vor dem Wasser dann just ins Feuer rennen, oder ob sie eine gerade freigeräumte Straße verschlammen“.

Daß die Canadair-Maschinen auch zum hundert Kilometer nördlich des Aspromonte gelegenen Pollino-Massiv kommen, wo Pio lebt, ist nicht zu erwarten. „Hier haben zu wenig Großkopfete ihre Datschen“, sagt er und stellt sein „Gruippo idrogeno“ an, die Stromnotversorgung per Benzinmotor, die er sich vor einigen Jahren angeschafft hat: Damit pumpt er, wenn wie derzeit seit drei Tagen durch das Feuer die Elektroversorgung unterbrochen ist, Wasser aus dem 300 Meter tief ins Gestein gehauenen Brunnen und feuchtet so die Bäume und das braun gedörrte Gras rings um sein Grundstück an.

Bis auf gut hundert Meter sind die Flammen schon herangekommen, aber immer wieder hat Pio sie löschen können. „Wenn ich zu Hause bin“, sagt er, „komm ich schon zurecht. Das Problem ist, wenn niemand da ist und der Zirkus losgeht.“ Bisher ist ihm das aber noch nicht passiert.

Das allerdings hat auch seinen Grund – Pio glaubt relativ präzise voraussehen zu können, wann es plötzlich an allen möglichen Stellen auflodert. Seine Stimme wird leise, er setzt sich so, daß der Wind seine Worte auch nicht weit forttragen kann: „Das sind immer dieselben Autos, die man da vorher sieht, dieselben Typen, und am Tag danach brennt's dann.“

Daß es sich bei den Feuern mehrheitlich um Brandstiftung handelt, davon geht auch die Regierung aus. Pio lehnt sich zurück. „Das war schon immer so. Früher“, sagt er und schaltet das lärmende Notstromaggregat wieder aus, „früher haben sie ganze Berge abgefackelt, weil Abholzen verboten war und sie durch Abbrennen Grundstücke zum Bauen gewinnen wollten. Dann wurde in den 80er Jahren das berühmte Galasso-Gesetz erlassen, da war's aus damit.“ Das Gesetz, benannt nach dem damaligen Staatssekretär im Ministerium für die Kultur- und Umweltgüter, verbot die Bebauung abgebrannter Flächen für zwanzig Jahre. Innerhalb von drei Jahren ging die Zahl der Großbrände in den Wäldern Italiens um mehr als 70 Prozent zurück.

Die Auffahrt zum Haus rumpelt ein graubrauner Großraumjeep empor. Drei uniformierte Männer steigen aus. „Hey, Armando“, ruft Pio dem älteren der drei zu, „ich dachte schon, diesmal habt ihr mich ganz vergessen.“ Die Männer sind von der „Guardia forestale“, der Forstwache. Pio geht ins Haus und kommt mit drei großen Flaschen Wasser heraus, „der Espresso ist gleich fertig“. Die Forstleute setzen sich aber noch nicht, sie geben über Sprechfunk Daten durch, nehmen Anweisungen entgegen, geben ihrerseits Befehle. „Löschen können wir zwar nicht“, sagt Armando, „aber abschätzen, wo Hilfe am nötigsten ist, schon.“ Wer sich etwa so ausgerüstet hat wie Pio, meint er „der wird's schaffen, die anderen Häuser brennen nieder“.

Er zeigt sein Arsenal: sechs Feuerpatschen, drei Schutzanzüge für Menschen, die sie durch kurze Feuerstrecken hieven müssen, zwei Handfeuerlöscher mit hautunschädlicher Füllung, „nur anzuwenden, wenn Menschen bereits brennen“, sagt er, „und halt das Löschwasser im Tank“. Das, so die Vorschrift, sollen sie aber auf keinen Fall einfach irgendwo gegen das Feuer spritzen – nur wenn sie sich selbst oder Eingeschlossenen einen Weg bahnen müssen, sollen sie es einsetzen. Außer Armandos Crew sind noch elf Mannschaften am Pollino im Einsatz – für ein Gelände, das etwa so groß ist wie der Bayerische Wald. Trotzdem: Wo die „Forestale“ auftaucht, winken die Menschen begeistert – wo die Feuerwehr anrückt, wird geflucht, weil sie zu spät kommt.

Daß die Anfahrt diesmal besonders lang gedauert hat, kommt daher, daß „die Kerle jetzt eine noch schlauere Variante eingesetzt haben“, erzählt Armando: „Statt uns Bäume quer über den Weg zu legen, die wir dann am Ende mit unserer Ramme doch irgendwann wegkriegen, haben sie breite Querrinnen ausgehoben, fünf Meter breit und zwei Meter tief.“ „Die Kerle“ – das sind die Leute, die Pio im Verdacht hat, die Feuer zu legen, und die mit allen Mitteln verhindern wollen, daß Löschhilfen allzu schnell am Ort eintreffen.

„Das ist die Subventionsmafia, die da zugange ist“, sagt er, „sie sahnen jetzt kräftig ab.“ Armandos Mitarbeiter Egidio, der vor seinem Beitritt zum Forstamt in der Landesregierung als Buchhalter gearbeitet hat, kann das alles erklären: „Vor zehn Jahren wurden die Regionen administrativ gestärkt: die Landschaftspflege ist ganz in ihre Kompetenz übergegangen. Gleichzeitig wurde ein Gesetz erlassen, das vorschreibt: alle abgebrannten Flächen müssen wiederaufgeforstet werden. Und so sind plötzlich Hunderte von Baumschulen entstanden, die sich um die Aufträge reißen. Die haben natürlich Interesse daran, daß möglichst viel abbrennt.“ Und deshalb hat die Brandquote mittlerweile diejenige von vor dem Galasso-Gesetz nicht nur wieder erreicht, sondern bei weitem überschritten.

Pio stellt seine Wasseranlage wieder an: Der Wind hat etwas gedreht, die Hitze aus dem Wald wird fast unerträglich. Die Forstleute gehen ihm zur Hand, ab und zu melden sie über Sprechfunk ihre Position, fragen nach, ob sie anderwärts gebraucht werden. Daß es bisher trotz des Schadens von bereits mehr als 200 Quadratkilometer Wald nur drei Tote gegeben hat, schreiben sie ganz und gar ihrer Erfahrung zu: „Wir wissen, wo Leute leben, wir wissen, wo sie sich verstecken, wenn's brennt, und holen sie dort raus, wir wissen auch, wo es aussichtslos ist zu löschen und wo man nur seine Zeit und seine Mittel vergeudet.“

Pio kennt einige der Feuermafiosi persönlich. Sein ehemaliger Steuerberater zum Beispiel hatte ihm eines Tages geraten, sein Geld doch im „Fostbereich“ anzulegen – da könne er ihm hohe Rendite versprechen, mit umgerechnet ein paar zehntausend Mark sei da in fünf Jahren eine halbe Million zu vedienen. „Die entsprechenden Leute habe er an der Hand, sagte er.“ Pio lehnte ab. Der Steuerberater aber fuhr schon wenig später einen Ferrari und baute sich am Meer ein Haus, verreiste zu teuren Urlaubsaufenthalten.

„Das Ärgerlichste an alldem“, weiß Armando, der Forstmann, „ist aber nicht, daß die Gangster die Aufforstungsaufträge mit ihren hinterhältigen Mitteln an Land ziehen und ehrliche Konkurrenten ausschalten – das Schlimmste ist, daß sie danach ja gar nichts aufforsten. Die sahnen die Gelder ab, und sobald sie diese haben, melden sie ihre Firma konkurs, und das Geld ist futsch.“

Seit die Kompetenzen für die Wiederbewaldung auf die Regionen übergegangen ist, kann man derlei fast folgenlos durchführen – die einschlägigen Politiker sind „allesamt Gewächse aus unserer Gegend, alle korrupt, keiner wird nachkontrollieren, ob die versprochenen zehntausend jungen Bäume gepflanzt wurden oder nur dreihundert“. Einzig die Guardia forestale hatte bisher ab und an nachgeschaut und Unregelmäßigkeiten gemeldet.

Das allerdings, so weiß Armando – und plötzlich ist seine bisherige Einsatzfreunde verschwunden –, „das wird sich jetzt ändern.“ Mit einem auch in anderen Teilen völlig unverständlichen Gesetz hat die Regierung Prodi die weitgehende Auflösung zentraler Strukturen dekretiert – statt einem einzigen Kommando unterstellt zu sein, das die Einsatzkräfte dorthin verteilt, wo sie gebraucht werden, sollen die Forstmänner wie alle anderen Polizisten jetzt vornehmlich auf lokale Kommandos hören – etwa des Bürgermeisters oder des Regierungspräsidenten der betreffenden Provinz. „Leute, die von Großeinsätzen null Ahnung haben und uns befehlen werden, mit dem Löschen aufzuhören, weil da vorne die Nachbargemeinde beginnt.“ Armando zuckt resigniert die Schultern. „Wer sich nicht vollkommen selbst schützen kann, ist verloren.“

Pio nickt und stellt den Schlauch ab; die Kühlung in der Luft ist deutlich zu fühlen. Trotzdem: Nächstes Jahr, hat er beschlossen, wird er ein noch stärkeres Notstromaggregat anschaffen, das dreimal soviel Wasser pumpen kann wie das derzeitige. Und dann ist ihm die Dezentralisierung der Forstämter schnuppe.

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