VW-Zwangsarbeiter müssen warten

■ Aufsichtsrat der Volkswagen AG entscheidet im September darüber, wie der Privatfonds zur Entschädigung der Zwangsarbeiter aussehen soll

Berlin (taz) – Die Volkswagen AG will erst im September genau festlegen, wie der am Dienstag angekündigte „private Hilfsfonds“ für ehemalige NS-Zwangsarbeiter bei VW konkret ausgestaltet sein soll. Grund dafür ist laut Klaus Kocks, Sprecher und Vorstandsmitglied der VW AG, daß der Aufsichtsrat des Unternehmens erst dann zu seiner nächsten Sitzung zusammentritt. „Ein Objekt dieser Größe kann nur über den Aufsichtsrat laufen“, erklärte Kocks gestern gegenüber der taz. Daß VW – in dessen Aufsichtsrat auch der SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder vertreten ist – erst den Ausgang der Bundestagswahl am 27. September abwarten will, streitet Kocks ab: „Wir machen den Termin für unsere Aufsichtsratssitzung nicht von der Bundestagswahl abhängig.“

Bislang ist völlig ungeklärt, welche finanzielle Größenordnung der Fonds haben wird. Fest steht auch noch nicht, ob mit den Mitteln des Fonds einmalige Entschädigungen oder regelmäßige Zahlungen an die noch lebenden Opfer – schätzungsweise 200 bis 300 Personen – geleistet werden sollen. Sicher ist nur, daß eine bekannte und unabhängige Person dem Fonds vorstehen soll.

Ignatz Bubis, den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, sieht Klaus Kocks eher als ungeeignet für den Posten an: „Herr Bubis repräsentiert schließlich nur einen Teil der Zwangsarbeiter.“ Von den 15.000 Zwangsarbeitern, die 1944 und 1945 bei VW eingesetzt wurden, waren 1.500 Juden. Bubis begrüßte gestern die Entscheidung von VW. Es stelle sich nun die Frage, ob sich „andere Unternehmen nun noch raushalten können“. Die moralische Schuld bei VW trage nicht die heutige Geschäftsführung. Allerdings, so Bubis, müsse sie sich fragen lassen, ob sie nicht viel früher den Hilfsfonds hätte einrichten sollen. Wie Bubis unterstützte gestern auch die Jewish Claims Conference die VW-Entscheidung.

In seiner rund fünfzigjährigen Nachkriegsgeschichte hatte sich Volkswagen bislang stets geweigert, Entschädigungen an die in den Wolfsburger Werken eingesetzten Zwangsarbeiter zu zahlen. Dabei berief sich der Konzern auf die geltende Rechtslage, nach der nur die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolgerin des NS-Regimes Ansprüche von Zwangsarbeitern zu erfüllen habe. Die heutige Volkswagen AG dagegen gilt rechtlich nicht als Nachfolgerin der Volkswagen GmbH der NS-Zeit. Daher, so Klaus Kocks, sei nun auch die Form eines „privaten“ Fonds vorgesehen. Einzahler wird jedoch die Volkswagen AG sein.

Den Kurswechsel bei VW begründet Vorstandssprecher Klaus Kocks damit, daß sich „die politische Prämisse“ unter den noch lebenden Zwangsarbeitern verändert habe: „Bisher wollten sie vor allem, daß wir antifaschistische politische Bildungsarbeit in ihren Herkunftsländern finanzieren.“ Erst in jüngerer Zeit seien vermehrt Ansprüche auf finanzielle Entschädigung gestellt worden.

So kündigten 30 ehemalige Zwangsarbeiter bei VW vor kurzem an, daß sie Klage gegen den Konzern erheben werden (siehe nebenstehendes Interview). Volker Probst