Ein Rätsel im eigenen Land

■ Moshood Abiolas Karriere: Vom "International Thief Thief" wurde er zum Helden der Demokratie

Hamidat Doyinsola, eine seiner Ehefrauen, verglich Abiola mit einem Elefanten inmitten einer Gruppe von Blinden, die jeder einen anderen Körperteil ertasten und daraus andere Schlüsse über die Natur des gesamten Tieres ziehen. Es war eine Anspielung auf das Phänomen, daß der 1937 geborene Moshood Kashimowo Olawale Abiola von unterschiedlichen Seiten völlig unterschiedlich bewertet wurde.

Als „International Thief Thief“ (ITT) besang ihn der Musiker Fela Kuti in den 70er Jahren, als Nigerias Ölmilliarden sprudelten. Denn 1971–88 war Abiola Westafrika- Vertreter der US-Telefongesellschaft ITT, und in dieser Funktion soll er durch den Einsatz schlechten Materials nicht nur Nigerias notorisch marode Telefonleitungen gelegt haben, sondern auch den Grundstein für seinen Reichtum. In dieser dekadenten Glanzzeit schwamm Abiola ganz oben und genoß seinen schillernden Ruf. Er war Milliardär, kam aber aus einer armen Familie. Er war intim mit den mächtigen Militärs aus Nigerias Norden, entstammte aber selber dem südnigerianischen Yoruba-Volk. Er war Yoruba, aber Muslim und erbitterter Gegner des berühmtesten Yoruba-Politikers, Chief Awolowo.

Awolowos Wunsch, Präsident Nigerias zu werden, vereitelte Abiola mit den einflußreichen Zeitungen seines Concord-Medienkonzerns. Statt Awolowo gewann der von Abiola geförderte Nordnigerianer Shehu Shagari die Wahlen 1979 – die einzigen Wahlen, die in Nigeria jemals zur freiwilligen Machtübergabe eines nigerianischen Militärdiktators führten.

Shagari wurde 1983 wieder vom Militär gestürzt, aber auch unter der neuen Militärherrschaft war Abiola eine zentrale Figur. Sowohl für nordnigerianische Militärs, die Anhänger im Süden suchten, wie auch für südnigerianische Politiker, die Einlaß in die vom Norden dominierte Militärdiktatur begehrten, war er der ideale Partner. In der hochgradig ethnisierten Politik Nigerias war Abiola das Unsicherheitsmoment, mit dem alle paktierten und dem niemand richtig traute. „In seinem eigenen Land war er ein Rätsel“, schreibt Kunle Oyatomi, Politikchef der nigerianischen Tageszeitung Vanguard, in seinem Nachruf. „Er war mit denen, die das Land beherrschten. Aber obwohl Abiola im konservativen Lager stand, würden ihn diejenigen, die sich fortschrittlich nannten, nicht hassen.“

Unter anderem deshalb endete er schließlich ganz zufällig als gewählter Präsident. Abiolas Stunde schlug 1992, als der ab 1984 amtierende Militärdiktator Ibrahim Babangida eine „Demokratisierung“ steuern wollte. Babangida annullierte die „primaries“ der beiden legalen Parteien und schloß damit die um Posten rangelnde Politikerkaste aus den für 1993 geplanten Präsidentschaftswahlen aus. Die danach einzig zugelassenen Kandidaten – Moshood Abiola und Bashir Tofa – galten als Babangidas Marionetten.

Erst als am 12. Juni 1993 Abiola mit 53 Prozent der Stimmen die Präsidentschaftswahl gewann, begann wieder die Vereinnahmung. Zum ersten Mal hatte ein Yoruba in Nigeria eine Wahl gewonnen – und zwar mit einer Mehrheit in allen Landesteilen. Als Babangida die Wahl annullieren ließ, war Abiola damit Held der unter den Yorubas um Lagos verankerten Demokratiebewegung.

Das ethnische Moment war dabei immer vorhanden – und es steigerte sich, je länger das Militär an der Macht blieb, vor allem als der ab November 1993 herrschende Sani Abacha prominente Yoruba- Politiker reihenweise ins Gefängnis steckte, darunter auch Abiola. Unter Abacha gewann in Nigerias Demokratiebewegung die Ansicht an Boden, daß die Überwindung der Militärherrschaft gleichbedeutend mit der Zerschlagung des Landes sei. Bisher stand das Festhalten am demokratischen „12. Juni“ noch gegen den Triumph des ethnischen Denkens. Mit Abiola stirbt ein demokratisches Ideal, das er selber nie überzeugend vertrat.