Entlassen in den Tod

■ Moshood Abiola, Idol der nigerianischen Demokratiebewegung, ist unmittelbar vor seiner Freilassung unter mysteriösen Umständen in der Haft gestorben Von Dominic Johnson

Entlassen in den Tod

Das Gespräch zwischen US- Außenstaatssekretär Thomas Pickering und Chief Moshood Abiola am Dienstag nachmittag in der nigerianischen Präsidentschaft dauerte nicht lange. „Noch in der Anfangsphase des Treffens bat er darum, seine Gedanken zu sammeln, und nahm einen Tee“, beschrieb Pickering später gegenüber CNN Abiolas letzte Stunden. „Er hatte Atemprobleme, ging auf die Toilette und kam in offensichtlich sehr beunruhigtem Zustand wieder heraus. Er bat um Hustenmedizin und Schmerzmittel und setzte sich auf ein Sofa. Er hatte anscheinend Hitzewallungen, zog sein Hemd aus, bat um frische Luft, und dann ging es ihm immer schlechter.“ Die US- Delegation bestellte einen Arzt, der nach zehn Minuten eintraf. „Wir halfen alle, ihn in ein Auto zu tun“, schildert Pickering die Situation weiter. „Es war unmittelbar kein Krankenwagen verfügbar. Wir folgten ihm zur Klinik des Staatschefs von Nigeria, wo Ärzte sofort anfingen, sich mit ihm zu beschäftigen. Im Versuch, sein Leben zu retten, arbeiteten sie 90 Minuten lang mit allen möglichen Mitteln. Offensichtlich strengte sich das ganze Ärzteteam sehr an, aber leider war am Schluß nichts mehr möglich.“

So verstarb am Dienstag gegen 16 Uhr Moshood Abiola, Idol der nigerianischen Demokratiebewegung, Sieger der annullierten Präsidentschaftswahl von 1993 und einer der größten Stolpersteine für das herrschende Militär beim Versuch, einen glatten Übergang zur Zivilherrschaft zu gestalten. Abiolas Einsetzung als Präsident einer Regierung der Nationalen Einheit, die dann alle politischen Strömungen an der Debatte über Nigerias Zukunft beteiligt, gehört seit Jahren zu den zentralen Forderungen der nigerianischen Demokratiebewegung.

Die Militärjunta unter General Abdulsalam Abubakar, der nach dem Tod seines Vorgängers Sani Abacha am 8. Juni die Macht übernommen hatte, befindet sich im letzten Stadium der Ausarbeitung eines neuen Übergangsprogramms zur Abgabe der Macht an Zivilisten, nachdem das alte Programm mit Abacha gestorben ist. Eine Kernüberlegung des neuen Programms war bislang, zu vermeiden, die Macht an den eigentlichen gewählten Präsidenten Abiola abgeben zu müssen, weil dies eine Einbeziehung der verfolgten demokratischen Opposition in die Politik bedeuten würde. Statt dessen – so schlug es die Militärjunta letzte Woche den Generalsekretären von UNO und Commonwealth und diese Woche den angereisten Afrikapolitikern der US-Regierung vor – sollte Abiola unter der Bedingung freikommen, daß er auf sein Mandat verzichtet. Man werde ihn dann in den Aufbau eines neuen Mehrparteiensystems und Wahlprozesses einbinden. UN-Generalsekretär Kofi Annan erklärte nach seinem Treffen mit Abiola am vergangenen Donnerstag, Abiola habe dies akzeptiert.

Der Weg schien frei für eine gütliche Einigung zwischen Nigerias rivalisierenden Politikern unter Ausschluß der demokratischen Opposition.

Deren führende Vertreter witterten sogleich Verrat, zumal keiner der illustren auswärtigen Gäste es für nötig hielt, sich mit der Demokratiebewegung zu treffen. Ab dem Wochenende gingen Nigerias Oppositionsführer an die Öffentlichkeit: Weder das Militär noch Abiola habe das Recht, das 1993 vom Volk vergebene Mandat wieder abzugeben, sagte beispielsweise der vom Rechtsanwalt Gani Fawehinmi geleitete Oppositionsdachverband „Jacon“ (Joint Action Committee of Nigeria).

Der Führer der Studentengewerkschaft von Lagos gab der Regierung am Montag ein einwöchiges Ultimatum zur bedingungslosen Freilassung Abiolas.

Aus regierungsnahen Medien verlautete derweil, Abiola selbst habe bei Treffen mit Regierungsmitgliedern einen Mandatsverzicht abgelehnt, so daß es nun ein Problem gebe. Auch wenn Abiola sich auf den Deal einlasse, könne er jederzeit ins Ausland gehen und eine Exilregierung ausrufen, gab die Zeitung Today die Sorge des Regierungslagers wieder; man sollte daher das nie begonnene Gerichtsverfahren gegen Abiola wegen Hochverrats vielleicht doch noch einleiten.

Der Nigeria-Besuch hochrangiger US-Politiker ab Dienstag erschien unter diesen Umständen als Versuch, ein bereits gescheitertes Projekt zu retten. Nun hat sich das mit Abiolas wundersamem Tod, den seine Anhänger in Nigeria genausowenig für einen Zufall halten wie den ebenso wundersamen Tod Abachas einen Monat vorher, von allein erledigt.

Wohl kaum jemand ist darüber glücklicher als Nigerias Regierung. Die abendlichen TV-Nachrichten enthielten am Dienstag eine viertelstündige Eloge auf den toten Abiola.

„Er war“, so trauerte das Staatsfernsehen, „einer der großen Wohltäter unserer Zeit.“ Ganz anders, so die sich aufdrängende und wohl unfreiwillige Folgerung, als die derzeitig Regierenden. Wenn sich das Militär tatsächlich über Abiolas Tod freut, könnte sich das allerdings als schwerer Fehler erweisen. Vielmehr könnte nun für viele Oppositionelle der letzte Damm gebrochen sein, der sie bisher noch von der Infragestellung der Einheit des Vielvölkerstaates Nigeria zurückhielt. Nachdem der neue Machthaber Abubakar einen Monat lang Hoffnungen auf eine Befriedung des Landes verbreitete, fällt Nigeria jetzt in den Zustand der Polarisierung zurück, der gegen Ende der Abacha-Zeit herrschte.