Sommerschlußverkauf der Konventionen

■ Lost in Klischee: Dock 11 zeigte Arthur Kuggeleyns Choreographie „Lost“

Nicht schon wieder Äpfel als Symbol sinnlicher Versuchung, nicht schon wieder schwarz-rote Tänzertrikots als Symbole für Liebe, Tod und Leidenschaft, nein, nicht schon wieder Mikro-Makrokosmos, Mann und Frau, Sonne und Mond im Universum. – Bitte nicht! Unbarmherzig verschleuderte Arthur Kuggeleyn im Dock 11 in seiner Choreographie „Lost“ die Klischees, als gälte es, den Sommerschlußverkauf zu unterbieten.

Und doch hofft der Zuschauer auf das Schnäppchen des Abends: Welche Erkenntnis will uns Herr Kuggeleyn mitteilen, der dort auf der Bühne steht, von seinem Tänzerpaar umringt? Er redet viel, stolpert dabei von Einsteins Relativitätstheorie (wie originell) in Newtonsche Gravitationsfelder (ach, so ist das mit der Liebe) und erzählt dabei nichts Neues. Die Geschichte ist konventionell: Mann und Frau verlieben sich, erleben das Paradies, dann die Langeweile, die Versuchung und dann die Trennung durch den Zigarettenkauf.

Pseudointellektueller Wiederholungstäter

Nichts gegen konventionelle Geschichten, aber die Kunst ist das „wie“. Kuggeleyn, der mit seinen früheren Ramm-Choreographien viel Aufsehen erregte, bewies damals mit seiner Darstellung des Inneren eines Gehirns oder einer blutigen Tiermanege als Ausverkauf menschlicher Werte, daß er nicht nur spannend inszenieren kann, sondern auch etwas zu sagen hat. Doch anstatt hier Altes auf neue Art und Weise zu arrangieren, übt sich Kuggeleyn mit abgekauten Theorien als pseudointellektueller Wiederholungstäter. Kunst flackerte auf in den Momenten des Schweigens, wenn die Tänzer im Vordergrund standen, wenn Poesie rezitiert wurde, wenn Kuggeleyn sang und im Hintergrund blieb.

Beischlafpositionen mit Sektglas in der Hand

So zeigte sich die Einsamkeit in der Beliebigkeit, als ein endloser Monolog von Frauen- und Männernamen vor der Diaprojektion zweier weit gegrätschter Frauenbeine gerappt wurde, und Mann und Frau, allein für sich, ein jeder mit einem Sektglas in der Hand, verschiedene Beischlafpositionen einnahmen. Witzig war auch die Diaprojektion des Teufels als Billy-Idol-Verschnitt „Dr. Loveless“ und seine Empfehlung: „Eat an apple everyday“.

Aber für solche Originalitäten war vor lauter wichtigen Botschaften kaum Platz: Die Choreographie war minimalistisch gehalten. Von Anne Rudelbachs kraftvoller Präsenz, wie sie in ihrem poetischen Sündenfall zu erahnen war, oder Antoine Effroys lustiger Leichtigkeit als Gockel oder Muskelprotz hätte man gern mehr gehabt. Also fürs nächste Mal bitte: nicht schon wieder ein Künstler, der seine Kunst erklären möchte, Kunst spricht gut für sich selbst. Patricia Caspari