Irgendwie dranhängen

■ Wie nur haben die WM-losen (Privat-)Sender das Fünf-Wochen-Exil verkraftet? Gar nicht: Plauderrunden, Spielermütter, Hooligans überall

Hat sich Fred Kogel nun am letzten Samstag doch ein Tränchen weggewischt, oder hat er ungeniert die Schampuskorken knallen lassen? Wissen wir natürlich ebensowenig, wie wir bei Thoma und Kofler auf der Couch saßen, als die deutsche Mannschaft sich im Ersten gar zu kläglich aus dem Quotenkampf verabschiedete.

Doch auch nach deren Ende war für die Herren von Sat.1, RTL und Pro 7 quotenmäßig kein Land in Sicht. Wochenlang dürften die Zahlen am Morgen danach selbst die ärgsten Befürchtungen der privaten Programmacher übertroffen haben. Bei Spielen mit deutschen Beinen saßen regelmäßig über 20 Millionen in der ersten Reihe, und bei einem Marktanteil von 80 Prozent (die selbst bei Vorrunden- Partien wie Jugoslawien–Iran nicht unter 40 Prozent fielen) hätte man die Werte für die Konkurrenzkanäle – wie bei Wahlergebnissen – getrost unter der Rubrik „Andere“ zusammenfassen können. Klar, daß der große Kick den Privaten nicht nur die Monatsbilanzen (Marktanteile im Juni: ARD 24,5 Prozent; ZDF 21,5; RTL 11,5; Sat.1 8,7), sondern auch das Jahresergebnis verhageln wird.

Die Misere war abzusehen und wahrscheinlich auch kaum zu verhindern. Wer nicht Fußball hatte, sendete Wiederholungen, B- und C-Filmchen oder Best-of-Compilations irgendwelcher Shows. Dezidierte Gegenmaßnahmen wie der 5teilige, geradezu rührend dilettantische Sat.1-Streifzug durch die Puffs der Welt („Sex grenzenlos“) waren allenfalls Verzweiflungstaten (die Zielgruppe von Fußball und Sex ist eh dieselbe).

Was blieb, war das Irgendwie- an-die-WM-Dranhängen quer durch alle Formate. In der „Lindenstraße“ erzürnte der WM-verrückte Hajo sein Rehlein, während Papa Fliege unter dem Titel „Junge, schieß ein Tor für mich“ den „Müttern unserer WM-Stars“ Anekdoten entlockte, die noch nie einer hören wollte (Väter, Onkel, Tanten saßen wohl bei Meiser oder sonstwo rum). Selbst ZDF-Mann Volker Panzer ließ in seinem fossilen Akademiker-Kaffeekränzchen („Nachtstudio“) übers runde Leder schwadronieren. Und Magazine auf allen Kanälen machten es (wo sie den Werkzeugmachermeister, bei dem Berti einst sein Handwerk lernte, schon nicht hatten) den Lokalblättern nach und sahen unaufhörlich irgendwelchen Menschen beim Fußballgucken zu.

Die Untaten deutscher Hooligans in Lens beförderten das Spiel der Männer mit der Kugel flugs ins Gesamtgesellschaftliche und boten somit auch noch ,seriösen‘ Plauderrunden wie dem „Presseclub“ einen willkommenen Vorwand, auf den WM-Zug aufzuspringen. Aber dann wenigstens die Kulturkanäle als fußballfreie Zonen? Von wegen. 3 Sat wurde kurzerhand für die Parallelspiele freigeschaufelt, selbst arte fand immer mal wieder („Balla, balla, Fußball“) Zeit fürs Gekicke. Vielleicht Phoenix? Nix da: „Die neuen Sexstars. Sportidole heute.“

Und ab nächste Woche Tour de France im Ersten! Bleibt für die Kogels, Thomas und Koflers der Trost, daß die Jungens nicht zur Primetime im Dunkeln fahren, und die Hoffnung, daß die Nation mit Sport erst mal bedient ist. Mit Jürgen Emig sowieso. Reinhard Lüke