Stille Tage ohne Berti
: Berti – aus dem Pool?

■ Heute exklusiv mit der Justin-Vogts (10)- Kolumne: „Die WM aus meiner Sicht“

Wenn Sie es also wirklich wissen wollen, dann muß ich sagen: Schon ziemlich klasse, diese WM. Die Côte d'Azur überhaupt, und Antibes sowieso. Prima Wetter und intellektuell anzusehende Frauen an diesem Pool in diesem schönen Hotel. Nicht daß ich (10) Marmor, Säulen und Gobelins immer brauchte, aber für einen Kleinenbroicher ist das mal eine nette Abwechslung.

Leider habe ich keine Minibar. Na ja, dafür gibt es Zimmerservice. Den rufe ich an, wenn eine Falte am Bett nicht geradegezogen ist oder so. Da tue ich dann, als sei ich sauer, und belle: „Die Ordnung hat nicht gestimmt.“ Nicht daß ich das gern täte. Aber der Deutsche im Ausland muß das ja wohl tun, und Papa kann nicht, weil er die ganze Zeit im Pool steht, sich mit den Unterarmen am Beckenrand abstützt und irgendwo ins Leere guckt. Das geht jetzt schon seit Montag so. Die anderen Gäste haben am Anfang etwas seltsam geschaut. Ich habe dem Zimmerservice gesagt, daß er halt verarbeitet und sie morgens einen Kaffee hinstellen sollen. Und Mama, sie solle in ein Einzelzimmer umziehen. Das hat sie auch gemacht.

Und Papa – Was geht in ihm vor? Mama weiß es auch nicht. Ich denke, Papa grübelt einfach zu viel. Der deutsche Papa neigt dazu. Besonders, wenn der deutsche Fußball in der Krise ist. Das habe ich gestern in Bild gelesen. Oh, das hätte ich jetzt nicht sagen dürfen. Papa liest nämlich Bild nicht – er wertet sie nur aus. Selbst in seiner Poolecke. Den Unterschied hat mir Mama mal erklärt, aber ich habe ihn nicht verstanden. Na ja, ich verstehe ja auch die Krise nicht. Ich sage immer: Es wird doch möglich sein, bei 80 Millionen Menschen 30 herausragende Fußballer zu finden.

Oder: Es wird doch möglich sein, ein Steak vernünftig zu braten. Aber so einfach ist das eben alles nicht. Das Fleisch hier schmeckt einfach nicht so gut wie in Onkel Heiners Restaurant. Na ja: Das Schlimmste wissen Sie aber noch gar nicht. Nächste Woche muß ich zurück nach – iih – Kleinenbroich. Papa muß beim sogenannten Krisengipfel mit dem netten Opi Braun und ein paar anderen Gestalten antraben. Der Mayer- Vorfelder soll, wie ich mitgekriegt habe, ein ganz gefährlicher Rechtsverdreher sein. Und der Böhmert ein gemeines Papier verfaßt haben. Wenn man es erwähnt, fängt Papa in seinem Pool zu vibrieren an. Ich finde, es sieht ein bißchen aus, als ob ein Kühlschrank tanzt. Oder ein Rasenmäher.

Ich habe ja gelesen, oder vielmehr ausgewertet, daß sich der Franzose Thuram vor dem Spiel von oben bis unten mit Knoblauch einreibt. Das nimmt den Gegnern die Konzentration. Ich habe zu Mama gesagt, Papa soll das doch auch machen. Mama antwortete: „Eine tolle Idee, Justin.“ Na ja, sie antwortet immer: „Eine tolle Idee, Justin.“ Ich rufe trotzdem sofort den Zimmerservice an und frage nach Knoblauchzehen.

Ich bin übrigens Anhänger der Holländer – seit dem Brasilien-Spiel. Ich war ganz weg und schrie nur noch: „Papa – hast du das gesehen?“ Und: „Papa, so macht man das!“ Ich habe den Zimmerservice beauftragt, draußen mal nachzufragen, aber die sagten, er sei noch am Verarbeiten.

Sie werden verstehen, daß ich mir langsam Sorgen mache. Jetzt ist die Woche schon rum, und Papas Unterarme sind schon richtig abgescheuert. Eben bin ich zu Mama und habe gesagt: „Mama, sind wir nicht ziemlich arm dran, mit einem Vater und Ehemann, der in einem Pool eines Luxushotels steht und sich mit beiden Unterarmen am Beckenrand abstützt? Da ist doch keinerlei Entwicklung festzustellen.“ Aber Mama hat gesagt: „Weißt du Justin, wir sind gesund, wir können miteinander lachen und haben uns sehr lieb – ich würde sagen, wir sind verdammt reich.“ Irgendwie kann ich nicht mehr lachen. Es ist ja nicht bloß, daß mir Papa noch nie zum Geburtstag gratuliert hat. Und auch sonst zu nichts. Es ist dieses Gurgeln vom Pool. Langsam kann ich mich nicht mal mehr auf die Sonne, die intellektuellen Frauen und den Zimmerservice konzentrieren. Wenn Sie es wirklich wissen wollen, dann muß ich gestehen, daß ich soeben sogar dachte: Justin – was geht nur in dir vor?

Justin Vogts (10) ist der Sohn der „Welt am Sonntag“-Kolumnistin Monika Vogts. Ghostwriter: Peter Unfried