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KommentarTeutonische Werte

■ Die Fußball-WM zeigt: Die Deutschen sind ein Modernisierungshemmnis

Eine Lehre aus der morgen zu Ende gehenden Weltmeisterschaft lautet: Deutschland ist ein Modernisierungshemmnis für Europa geworden – schwerfällig, ideenlos und uninspiriert. In einer mystischen Geisterbeschwörung setzte die halbe Nation angesichts der Vorstellung ihrer Altherrenmannschaft auf deutsche Tugenden. Disziplin, Unterwürfigkeit und bedingungslose Einsatzbereitschaft sollten die Welt ein weiteres Mal von der Überlegenheit teutonischer Werte überzeugen. Vergebens. Verkrampft und am Rande der Peinlichkeit würgten sich die deutschen Buben bis zum vorzeitigen Aus. Die multiethnischen Teams aus England, Frankreich und den Niederlanden setzten spielerische Standards und offenbarten, wo Deutschland heute steht – im Abseits, in der fußballerischen Provinz.

Mit Matthäus, Klinsmann & Co. tritt weit mehr als nur eine Generation mit einem überalteten Spielsystem ab. Esprit, Spielwitz und Kreativität gehen heute nicht mehr von Ländern aus, die ihre nationalen Tugenden in die Waagschale werfen, die ihre Homogenität und Dominanzkultur gegen ethnische Minderheiten mit Zähnen und Klauen verteidigen. Impulse setzen jene Länder, die ihre Minderheiten nicht nur als Bürde verstehen, sondern als Kreativitäts- und Innovationspotential zu nutzen wissen. Während in den Wochen der Fußball-WM von Berlins Innensenator Jörg Schönbohm bis hin zur CSU in Deutschland über die mangelnde Integrationsbereitschaft der Ausländer geklagt und gehetzt wurde, Raus-raus-Forderungen die Runde machten, spielten sich die multiethnischen Mannschaften unserer Nachbarn in die Herzen des Publikums.

Natürlich gibt es auch bei ihnen Spannungen zwischen Mehrheit und Minderheiten. Im holländischen Team sind die Weißen und Schwarzen heftig aneinandergeraten. Der Unterschied zu Deutschland: Konflikte werden vor aller Augen und Ohren zwischen Gleichberechtigten ausgetragen, und das in der wichtigsten Institution des Landes – der Nationalmannschaft. Das Ergebnis begeisterte die Fußballwelt – mehr kann eine zivile Streitkultur nicht erreichen.

Wie anders in Deutschland: Hier feuerten (nicht nur) die ethnischen Minderheiten die Gegner des deutschen Teams an. Eine klare und diesmal unüberhörbare Antwort auf eine desaströse Ausländer- und Integrationspolitik. Eberhard Seidel-Pielen

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