: Kannibale mit Kinderaugen
„Serienkiller“: eine Filmschau mit den Hauptfiguren der Kriminalistik und des Kinos im Metropolis ■ Von Christian Buß
Mörder sind Stars, und Stars sind am besten, wenn sie Mörder sind. Das ist eine Regel, die beinahe so alt ist wie das Kino: Peter Lorre war immer exzellent, aber im kollektiven Gedächtnis wird er durch seinen Aufritt in Fritz Langs M von 1931 bleiben. Da gab der kleine Mann den Kannibalen mit Kinderaugen. Den Kannibalen als Kulturmensch gab hingegen Anthony Hopkins in dem 1990 von Jonathan Demme inszenierten Silence Of The Lambs, für den er die Rolle des Mozart liebenden Menschenfressers Hannibal Lector übernahm; da war der Schöngeist aus England in seinem Element. Auch nicht schlecht: Götz George, ansonsten immer ein bißchen zu sehr von sich selbst fasziniert, 1995 als bescheidener Serienmörder Fritz Haarmann in Romuald Karmakars Der Totmacher. Und Mario Adorf war ebenfalls nie überzeugender als in Robert SiodmaksNachts, wenn der Teufel kam (1957), wo er als Kraftprotz Bruno Lüdke Kartoffeln und Sauerkraut in sich hineinschaufelt, um nachts unbefriedigte Triebe zu kompensieren.
Wenn im Kino das Saallicht erloschen ist, kann ungestraft dem Bösen gefrönt werden. Das hat ja immer wieder Menschen aufgebracht, die das Kino als moralische Lehranstalt verstanden wissen wollen. Das hat aber auch einige der vielschichtigsten Verbrecher-Psychogramme hervorgebracht. Und so erscheint es schlüssig, daß sich das Hamburger Aufbau- und Kontaktstudium Kriminologie zwecks Weiterbildung vor die Leinwand setzt. Ergänzend zu einer prominent unterstützten Studienwoche unter dem Titel „Serienkiller“ zeigt das Metropolis ein paar der wichtigsten Filme zum Thema. Im Fokus steht der Täter und sein psychologisches Profil. Um das zu erstellen, gibt es sogenannte Profiler. Mit dem Österreicher Thomas Müller, berühmt geworden durch die Überführung von Jack Unterweger, steht am Donnerstag der renommierteste Profiler aus dem deutschsprachigen Raum auf der Referentenliste. Gelernt hat er sein Handwerk in den USA. Dort ist man kriminologisch sehr viel weiter, was seltsam anmutet, wenn man bedenkt, daß Deutschland in dem zweifelhaften Ruhm steht, ein paar der effizientesten „Totmacher“ hervorgebracht zu haben.
Doch während hierzulande die Info-Elite noch gerne den Serien- mit dem Massenmörder verwechselt, skandiert man unten auf dem Boulevard immer wieder von Bluttaten berauscht „Bestie!“ Die ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Mord als psycho-soziales Phänomen bleibt aus. Andererseits haben ein paar deutsche Filme das Sujet von diesem Aspekt vorbildlich aufgerollt. Fritz Langs M ist da ungeschlagen: Der Mörder interessiert den Regisseur nur am Rande. Peter Lorre ist ein jämmerlicher Leptosome, der wimmert, daß er seine Morde nicht absichtlich vollbringt, sondern muß! Muß! Muß! Doch der Wahn des Triebtäters erscheint minimal gegen den der Gesellschaft. Die wird durch sein Treiben zuerst in ihren Grundfesten erschüttert, um danach umso geschmierter zu funktionieren. Gangster agieren hier in der Symbiose mit dem Gesetz, und weil die Halbwelt sich durch den Killer in ihren Geschäften gestört fühlt, bringt sie ihn zur Strecke. Die Form der „negativen Integration“, wie sie ein paar Jahre später von Hitler und seinen Demagogen perfektioniert wurde, läuft hier reibungslos. Ein ähnliches Gemeinschaftsgefühl wurde gerade erst vor ein paar Monaten erreicht, als sich nach dem Mord an Christina Nytsch ein ganzer niedersächsischer Landkreis zur Speichelprobe anstellte.
Auch Robert Siodmak behandelt in seinem Film Nachts, wenn der Teufel kam, der auf einem authentischen Fall beruht, die Wechselwirkung zwischen verschiedenen verbrecherischen Ebenen. Ein paar Dutzend Menschen hat der Zurückgebliebene Bruno Lüdke während der Nazi-Zeit umgebracht, doch hingerichtet wurden immer andere – auch als er schon entlarvt war. Der Krimi, in dem Sexualität zum Teil explizit ausgeführt wird, sticht aus dem piefigen deutschen Nachkriegskino heraus. Siodmak war erst kurz zuvor aus der amerikanischen Emigration zurückgekehrt, jetzt präsentierte er, was er in seiner Zeit als vielleicht kreativster Schöpfer der Schwarzen Serie gelernt hatte: Er mußte nichts zeigen, um alles zu sagen.
Das gilt auch für Romuald Karmarkar, der die Verbrechen des legendären Fritz Haarmann nachzeichnet – ohne auch nur einen Blutstropfen auf die Leinwand spritzen zu lassen. Haarmann respektive Götz George berichtet in der Untersuchungshaft, wie er über Jahre Stricher ermordet, zerstückelt und als Fleischwaren weiterverkauft hat. Die Kamera kreist um ihn herum, immer um Distanz bemüht. So wird mit den Mitteln des Kinos ein quasi objektives Profil erstellt. Daß das auch in die Hose gehen kann, zeigt Jonathan Demmes Silence Of The Lambs. Jodie Foster spielt darin eine junge Profilerin, die eigentlich kühl die innere Logik eines Mörders erkunden soll. Doch so wie die Kriminalistin immer mehr in den Bann des lockenden Hannibal Lector gerät, so verliert sich der Schocker in der Figur des genialen Kannibalen. Immerhin hat es Silence Of The Lambs zu verantworten, daß eine zeitlang kein Mainstream-Knaller ohne einen milde vorsichhinphilosophierenden Psychopathen auskam.
Nachts, wenn der Teufel kam: heute, 21.15 Uhr. M: morgen, 21.15 Uhr. Blue Scream (Video-Lesung): Mittwoch, 19 Uhr. Der Totmacher: Mittwoch, 21.15 Uhr. The Silence Of The Lambs: Donnerstag, 21.15 Uhr. Informationen zur Studienwoche unter Tel.: 41 23 33 29
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