Amtsschimmel ausgetrickst

■ Ein ungewöhnlicher Sieg: Die bosnische Örthopädie-Azubi Elvira Cerimagic hat trotz aller Behördenwiderstände jetzt ausgelernt – und kehrt zurück ins bosnische Seniza

Als bosnische Kriegsflüchtlinge in Deutschland Zuflucht vor dem brutalen Bürgerkrieg auf dem Balkan suchten, war unter ihnen die Familie Cerimagic. In wenigen Wochen reist die Familie, die sechs Jahre lang in Achim wohnte, ab, um in Bosnien einen Neuanfang zu wagen. Ihre älteste Tochter, Elvira Cerimagic, nimmt dafür die besten Voraussetzungen mit. Nach langem Kampf hat sie jetzt den Gesellinnenbrief als Orthopädiemechanikerin in der Tasche. Diesen Berufsabschluß hatten deutsche Gerichte und das zuständige Verdener Arbeitsamt verhindern wollen.

Gemeinsam mit der heute 21jährigen stemmten sich dagegen vor allem ihr Ex-Lehrherr Ralf Jungblut und zuletzt auch Bremer Handwerker- und Unternehmerkreise. Sie mochten nicht hinnehmen, daß die junge Frau auf amtlichen Befehl ihre bereits begonnene Lehre nach fast zwei Jahren einfach hinschmeißen sollte. Die amtliche Begründung: Ihr Achimer Lehrherr habe den – eigens für Elvira geschaffenen – Ausbildungsplatz nicht zuvor deutschen Jugendlichen angeboten.

Allein dieser Verstoß gegen das Ausländergesetz sollte den Unternehmer ursprünglich über 6.000 Mark Strafe kosten. Erst mit mehreren Klagen konnte Jungblut die saftige Buße um 90 Prozent herunterhandeln – auf 600 Mark. Immerhin sprach ihn das Verdener Landgericht schließlich auch vom bösen Vorwurf frei, er habe Elvira vorsätzlich illegal beschäftigt. Doch ansonsten wollte niemand dem Firmenchef und seiner Prothesenschülerin entgegenkommen; vergeblich deklarierte Ralf Jungblut seinen Einsatz für den bosnischen Lehrling als Beitrag zur „humanitären Hilfe für Bosnien“; vergeblich betonte er auch seine Ahnungslosigkeit in punkto Ausländergesetz – die doch allein dem Abschluß des Ausbildungsvertrags zugrunde gelegen habe. Noch heute sagt Jungblut: „Damals waren doch alle zur Solidarität aufgefordert. Ich habe gehandelt.“ Schließlich sei absehbar gewesen, daß Prothesen nach dem Krieg in Bosnien gebraucht würden. „Was liegt da näher, als einer jungen begabten Frau die Ausbildung dafür zu ermöglichen?“ Trotzdem atmet der Meister auf, daß der Kleinkrieg mit den Behörden endlich zuende ist. „Ich bin froh, daß das alles vorbei ist und daß Elvira die Ausbildung tatsächlich beenden konnte.“

Seine mittlerweile 21jährige Orthopädieschülerin Elvira sitzt unterdesssen schon auf gepackten Koffern. Sie wird als erstes Mitglied ihrer Familie noch in dieser Woche nach Bosnien zurückkehren. „Ich werde mir dort eine Arbeit suchen. Sicher finde ich etwas“, ist sie zuversichtlich – auch wenn sie die deutsche Abschlußprüfung nur mit einer drei bestanden hat. Als nächstes plant die junge Muslimin die Hochzeit – und Flitterwochen an der kroatischen Küste. „Später wollen wir ein Haus bauen. Und dann immer an einem Ort bleiben.“ Das Ziel heißt Seniza – woher ihr Freund stammt, den sie in Deutschland kennenlernte und dem sie jetzt dorthin folgt, wo er und seine Familie leben werden.

Wenn Elvira Cerimagic an die letzten Jahre zurückdenkt, kommt vieles wieder hoch. Daß sie „trotz der ganzen Gesetze“ die Ausbildung – wenn auch nicht in Achim, so doch in Bremen – über eine Externenprüfung beenden konnte, darüber ist sie zwar froh; in Bosnien hatte der Krieg alle ihre Zukunftspläne samt der bereits zugesagten Lehrstelle durchkreuzt. Aber man merkt der zielstrebigen jungen Frau an, daß die lange Zeit der Abhängigkeit von anderen ihr auch zu schaffen macht. „Ich will ihm das alles zurückzahlen“, kommentierte sie vor Monaten das Engagement ihres Chefs, der bereits mehrere Gerichte in ihrer Sache bemüht hatte.

Hätte Ralf Jungblut stattdessen klein beigegeben, wäre aus Elvira Cerimagics Ausbildung nichts geworden. „Ohne ihn und ohne meinen Berufsschullehrer, den Herrn Brücker von der Bremer Handwerkskammer und den Orthopädiebetrieb Richter hätte ich das alles nicht geschafft“, sagt Elvira. Warum sich diese Leute für sie eingesetzt und trickreich Wege gefunden haben, damit sie die Ausbildung doch noch beenden kann, weiß sie dabei nicht einmal genau.

Ganz still und unbemerkt hatte unterdessen die Unterstützergruppe gehandelt – und dem niedersächsischen Amtsschimmel so ein Schnippchen geschlagen. Bevor man auf die Möglichkeit einer Externenprüfung in Bremen verfallen war, hatten die Handwerker der jungen Frau zur notwendigen Berufspraxis und Anleitung verholfen. Die Betriebsräume ihres eigentlichen Achimer Lehrherrn durfte die Auszubildende da schon nicht mehr betreten.

Dafür hatten die Richter des Stader Sozialgerichts gesorgt. Dort hatte Jungblut für seine bosnische Azubi eigentlich eine Ausnahmeregelung erstreiten wollen. Er unterlag. Zwar ist dazu noch eine Entscheidung der nächten Instanz anhängig – „aber das ist jetzt egal“. Damals war das Verbot, das die Jungblutsche Werkstatt zur Tabuzone für den Azubi erklärte, ein tiefer Einschnitt. Ein Verstoß hätte enorme Bußgelder gekostet. Die „Bremer Lösung“ wurde ersonnen.

Egal ist für Jungblut mittlerweile auch, ob sich der Petitionsausschuß des Landes Niedersachsen noch muckst. Das Fazit seines Kampfes für Elviras Ausbildung: „Ich weiß jetzt genau, wie es zu Politikverdrossenheit kommt“.

ede