Heine kommt durch die Hintertür

Christoph Stölzl, Chef des Deutschen Historischen Museums, will hinter der Neuen Wache die Kopie eines Heine-Denkmals aufstellen. Bezirk und Kunsthistoriker kritisieren Versuch der „Geschichtsheilung“  ■ Von Ulrike Steglich

Im Park am Weinbergsweg träumt Heinrich Heine vor sich hin. Auf der Wiese lassen Punks ihre Hunde toben, bei gutem Wetter sonnen sich die Bewohner der angrenzenden Viertel. Eigentlich ein gutes Plätzchen für Heine – wenn auch eigentlich anders gedacht. Seit 1958 steht das vom Westberliner Bildhauer Waldemar Grzimek geschaffene Denkmal an diesem unspektakulären Ort in Mitte. Ursprünglich für den Zentrumsbereich geplant, fand es dort letztendlich keine Gnade vor den DDR-Oberen und wurde kurzerhand an den Rand des Trümmerberges verrückt, aus dem der Park am Weinbergsweg entstand. Nachdem nach 1990 kurzzeitig die „Rückführung“ des Denkmals in das Kastanienwäldchen hinter der Neuen Wache erwogen, aber nicht weiterverfolgt wurde, holt nun Christoph Stölzl, Chef des Deutschen Historischen Museums (DHM) und Kanzler-Intimus, die Idee von neuem hervor. Nun soll jedoch eine Kopie des Denkmals in das Kastanienwäldchen umziehen. Ende Januar wurde zum erstenmal der Bezirk Mitte damit konfrontiert.

Der ist von dieser Idee wenig begeistert. Mittes Baustadtrat Thomas Flierl (PDS) argwöhnt, daß „durch Duplizierung des Kunstwerks Geschichte geheilt“ und um die Neue Wache „mit Versatzstücken der Geschichte ein Geschichtshain inszeniert“ werden soll. Zumindest reiht sich diese Nacht-und-Nebel-Aktion in eine Reihe von Bemühungen um das Kastanienwäldchen ein: Am Anfang stand die 1993 vom Bundeskanzler betriebene, in der Öffentlichkeit aber äußerst umstrittene Umgestaltung der Neuen Wache zur „Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik“ mit einem aufgeblasenen Monumental-Duplikat von Käthe Kollwitz' Plastik „Pietà“. Kritisiert wurde das Projekt vor allem als „nationale Kranzabwurfstelle“, die in den Texten der Ergänzungstafeln Täter und Opfer gleichsetze.

Zweiter Akt: Für den Erweiterungsbau des benachbarten DHM erteilte der Kanzler höchstselbst dem Stararchitekten (und Wunschkandidaten Stölzls) Ieoh Ming Pei den Ausführungsauftrag – noch vor der öffentlichen Präsentation 1997. Dem Neubau wurde stillschweigend das an das Kastanienwäldchen grenzende, völlig funktionierende Depotgebäude des damaligen „Museums für Deutsche Geschichte“ aus den 50er Jahren geopfert, was u.a. Protest aus dem Landesdenkmalbeirat zur Folge hatte. Stölzl hatte den Abriß schon 1992 gefordert.

Dritter Akt: Bis heute sind die Standbilder von Scharnhorst und Gneisenau nicht an ihre Standorte vor dem Kastanienwäldchen zurückgekehrt, obwohl, so die Kunsthistorikerin Simone Hain, „es einen breiten Konsens darüber gab“. Auch der Landesdenkmalbeirat, dessen stellvertretende Vorsitzende Hain ist, hatte sich in einem Gutachten dafür ausgesprochen: Das Gebäude der Neuen Wache, ursprünglich errichtet als Denkmal für die Befreiungskriege, bilde mit den insgesamt sieben Standbildern ein untrennbares Ensemble. Stölzl hatte die Rückführung der Standbilder abgelehnt: Die Scharnhorst- Figur würde heute niemand mehr verstehen.

Schließlich – vierter Akt – wollte der Bezirk Mitte aus Anlaß des 150. Jahrestages der Märzrevolution von 1848 den Platz vor dem Brandenburger Tor umbenennen. Dagegen sträubte sich der Senat, der seinerseits forderte, den Platz um die Neue Wache „Platz der Märzrevolution“ zu nennen. Der Bezirk Mitte hatte dies abgelehnt – nicht zuletzt mit dem Verweis darauf, daß laut Gesetz nur Umbenennungen, nicht aber Neubenennungen möglich seien.

Nach all dem „kommt nun Heine überraschend durch die Hintertür“, so Simone Hain, für die die Vorgänge ein „absoluter Voluntarismus jenseits jeder Öffentlichkeit“ sind. Neben einem „demokratischen Problem“ sieht sie auch ein Problem bei der Kriterienfindung für solche „politische Ikonographie“. Auch Thomas Flierl lehnt eine Dublette von Heines Denkmal an diesem Ort ab. Für den, der Geschichte lesen wolle, sei das damalige „Verrückt- Werden des Heine-Denkmals“ beredter Teil Berliner Kunst- und Politikgeschichte. Man könne Geschichte nicht nach eigenem Gusto zu einem „nationalpatriotischen Traditionsort“ zusammenstellen und sie so „heilen“ wollen – das sei ungefähr so, „als würde man die Siegessäule um eine Tonne kürzen und sie – zusätzlich zu Albert Speers Ost-West-Achse – als Duplikat an ihrem ursprünglichen Platz aufstellen“. Flierl will nun Stellungnahmen von der Akademie der Künste und dem Landesdenkmalbeirat einholen sowie baldmöglichst einen Bezirksamtsbeschluß herbeiführen. Finanzieren soll die Heine-Kopie Peter Dussmann („Das Kulturkaufhaus“), der die Übernahme der Kosten von 220.000 Mark bereits zugesagt hat.