„Das ist eine Gratwanderung“

■ Innensenator Jörg Schönbohm verteidigt die Abschiebungen in der vergangenen Woche und setzt weiter auf zwangsweise Rückführungen

taz: Herr Schönbohm, mußten die Abschiebungen in der vergangenen Woche in einer Nacht-und- Nebel-Aktion stattfinden?

Jörg Schönbohm: Gänzlich unvorbereitet kann niemand sein. Wir haben immer wieder gesagt, daß die Bürgerkriegsflüchtlinge zurückkehren müssen. Nachdem das Rückkehrprogramm für die Flüchtlinge aus der Republik Srpska nur begrenzt angenommen wurde, habe ich gesagt, wenn sich die freiwillige Rückkehr nicht verstärkt, werden wir vom Mittel der zwangsweisen Rückkehr Gebrauch machen. Ich weiß, das wirkte auf einige spektakulär.

Muß man deswegen die Leute mitten in der Nacht abholen?

Wenn wir den Flüchtlingen mitteilen, bis zu welchem Termin sie ausreisen müssen, ist es so, daß die meisten dann untertauchen. Deshalb muß man bei einer größeren Aktion die Festnahmen für die Abschiebung dann vornehmen, wenn man weiß, daß die Leute zu Hause sind.

Die Ausländerbeauftragte des Senats, Frau John, stuft das Rückkehrprogramm als sehr erfolgreich ein. Warum sehen Sie das anders?

Es leben noch 20.000 Menschen aus Bosnien-Herzegowina in Berlin, der überwiegende Teil aus der Srpska-Region. Wir haben zugesagt, daß wir keinen ausweisen, der freiwillig zurückkehren will. Aber die Zahlen sind zu gering. Die Zeit drängt. Ich weiß, daß das eine Gratwanderung ist.

Aber kann man deswegen Traumatisierte abschieben?

Es gibt einen Fall, eine traumatisierte 72jährige Frau, die immer wieder in der Presse erwähnt wird, die aber nicht abgeschoben wurde. Den Traumatisierten haben wir einen Stichtag Anfang des Jahres gegeben, sich mit einem fachärztlichen Gutachten bis dahin zu melden. Das wurde auch in den Akten festgehalten. In einem Fall war es so, daß von einer Ärztin unmittelbar vor der Abschiebung ein Gutachten an die Ausländerbehörde geschickt worden war. Aber der Polizei wurde das nicht rechtzeitig mitgeteilt. Diesen Fall prüfen wir gerade. Ich möchte betonen, daß es einerseits um einzelne Schicksale geht, aber andererseits ist bei einer so hohen Zahl von Flüchtlingen der bürokratische Aufwand sehr hoch.

In einem anderen Fall, in dem ein Rechtsschutzantrag lief, wurde auch abgeschoben.

Zur Zeit haben wir knapp 15.000 Rechtsschutzersuchen beim Verwaltungsgericht vorliegen. Wir haben mit dem Gericht abgemacht, daß wir bis zur Entscheidung nicht abschieben – eine Vereinbarung, die bei den Abschiebungen der vergangenen Woche aber nur bis zum 7. Juli galt. Andererseits glauben wir, daß die Verwaltungsgerichte aufgrund der jetzt vorliegenden Unterlagen zügiger entscheiden könnten.

Wird es weitere Abschiebungen geben?

Wir werden weiterhin von dem Mittel der zwangsweisen Rückführung Gebrauch machen. Ob es noch einmal zu einer Abschiebung im größeren Ausmaß kommt, hängt sehr stark davon ab, ob von der Möglichkeit der freiwilligen Rückkehr verstärkt Gebrauch gemacht wird. Interview: Barbara Junge,

Julia Naumann

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