Alles, was Männern Streß macht

Töten ganz ohne Pose und in Trainingshose. In Takashi Ishiis Film „Gonin“ kommt Gewalt so beiläufig vor wie in „Pulp Fiction“, aber mit metaphysischem Ernst und einer Romanze in schwul. In Japan gilt Takashi Ishii als eine Kultfigur des Manga-Comics  ■ Von Axel Henrici

Sie kommen von irgendwoher und fangen einfach an zu schießen. In herkömmlichen Actionfilmen würden die Gegner nun in Deckung gehen, und die Kamera würde versuchen, die lebensbedrohliche Dramatik durch wilde, ausholende Schwenks zu unterstreichen.

In Takashi Ishiis „Gonin“ ist alles ganz anders. Die Kamera wartet, bis alle ihre Magazine leergeschossen haben. Nach einer Weile sind dann einige Menschen tot und wenige übriggeblieben. Dann geht es mit reduziertem Personal weiter. „Pulp Fiction“ auf japanisch, aber eben ganz anders. Ein Film zwischen allen Genres. Für einen Actionfilm zu wenig spannend, für einen Zitatpopfilm zu ernsthaft. Im Vergleich zu anderen ostasiatischen Filmen fehlt die kompositorische Ruhe und Konzentration des Blicks, die etwa Takeshi Kitanos „Violent Cop“ auszeichnet, oder die Poesie, die Wong Kar Wais „Days of Being Wild“ verströmt.

Dafür wird in Takashi Ishiis kontemplativer Blutorgie „Gonin“ die Frage nach dem japanischen Männerbild gestellt: „Über die Männer, die ich in diesem Film zeige, liest man jeden Tag in der Zeitung; sie sind Symbole für unsere Zeit. Wenn die Medien mit diesen Menschen fertig sind, haben sie sich in substanzlose Symbole verwandelt.“ Das klingt beeindruckend unverständlich und verheißungsvoll genug.

Bandai (Koichi Sato) ist der Besitzer einer Edeldisco, an deren wirtschaftlichem Erfolg die Yakuza – die ehrenwerte Gesellschaft der japanischen Mafia – ein nicht nur privates Interesse hat: Er ist Geld schuldig, was in diesen Kreisen keine angenehme Sache ist. Beim Baseballspielen lernt er den gerade arbeitslos gewordenen Ogiwara kennen (glänzend unausgeglichen gespielt von Starkomiker Naoto Takenaka) und sieht sich gezwungen, ihn zu verprügeln. Nach anfänglichen Drohungen, Bandai zu verklagen, überlegt es sich Ogiwara anders und bittet ihn statt dessen beherzt und noch blutend, für ihn arbeiten zu dürfen. Dazu bekommt er auch gleich Gelegenheit, als nämlich ein ehrenwerter Discogast ausflippt und Ogiwara ermöglicht, seinen männlichen Gefühlsstau mittels Baseballschläger sinnvoll abzureagieren.

Aus Anlaß dieses gepflegten Gemetzels, bei dem fürs erste alle überleben dürfen, wird neben mehr oder weniger kleinkalibrigen Handfeuerwaffen noch ein weiteres Mordinstrument eingeführt: der Taschendolch.

Derjenige, der mit ihm so gut umgehen kann, heißt Mitsuya (Masahiro Motoki) und erleichtert reiche Schwule um Geld und Verstand. Aber auch er hat mit Bandai noch eine Rechnung offen – und will Geld von ihm. Mehr, als man normalerweise zu Hause hat. Das wollen auch Ex-Polizist Hizu, der aussieht wie ein japanischer Verwandter von Columbo, und Zuhälter Jimmy, eine Art Caliban der Unterwelt. Bandais Idee, das Geld bei der Yakuza zu holen, ist ihnen auch recht.

Naturgemäß fließt bei einem solchen Unterfangen jede Menge Blut. Doch Ishii, in Japan eine Ikone der Manga-Comic-Subkultur, läßt keine Killer-Thriller-Atmosphäre aufkommen, darin Quentin Tarantinos Beiläufigkeit in „Jackie Brown“ nicht unähnlich. Getötet wird ohne Pose, in der Regel im Stehen, zur Not auch in der Trainingshose und mit einem Regenschirm in der Hand. Das erzeugt komische Effekte, ohne daß die Grausamkeit – etwa wie in „Pulp Fiction“ – ins Unterhaltsame abkippt.

Wo Quentin Tarantino das Töten als einen Job vorführt, der wie jede regelmäßige Beschäftigung zwangsläufig zu einer gewissen Routine führt, behält es bei Ishii trotz aller Beiläufigkeit seinen metaphysischen Ernst. Hier wird gerichtet.

Ein Film über all das, was Männern so Streß macht? So gesehen ja. Andererseits erzählt der Film aber auch auf sehr verhaltene Weise den Beginn einer Liebesgeschichte, zu der es dann doch nicht mehr kommt. Eine Romanze in schwul, beendet von Schüssen.

Denn wie es die Logik des Genres befiehlt, müssen nacheinander alle fünf Männer das Zeitliche segnen. Dafür sorgt in bewährter Manier „Beat“ Takeshi Kitano („Violent Cop“, „Hana-Bi“) als einäugig-existentialistischer Vollstrecker Kyoya: gleichmütig und fast ein bißchen angewidert. Der letzte, den es trifft, ist Mitsuya, unterwegs in jenem Reisebus, mit dem Bandai und er ursprünglich nach gelungenem Coup gemeinsam in die Provinz hatten verschwinden wollen. Auf einem Rastplatz ist es soweit. Während die drei kichernden Fräuleins aus der Provinz, neben Mitsuya die einzigen Fahrgäste, beim Einkaufen sind, betritt Kyoya schweigend den Bus und bahnt sich seinen Weg nach hinten. Mit der Andeutung eines Achselzuckens sieht er das letzte seiner Opfer an. Müde. Das Schicksal substanzloser Symbole.

Ohne viel Aufhebens schießt man aufeinander. Zweimal Volltreffer. Kyoya faßt sich, mäßig überrascht, an die Brust. Immer diese Schießereien. „Anstrengend“ sagt er und läßt sich in die Sitzreihe gegenüber fallen. „Eine kleine Pause.“ Dann schließt er für einen langen Moment erschöpft die Augen. Mitsuya tut es ihm gleich. Plappernd betreten die drei Provinzlerinnen den Bus und schwärmen von ihren Einkäufen. Die zwei stillen Passagiere im hinteren Teil nehmen davon keinerlei Notiz.

„Gonin“. Buch und Regie: Takashi Ishii, mit Takeshi Kitano, Koithi Sato, Masahiro Motoki, Naoto Takenaka, Jinpachi Nezu, Kippei Shiina, Japan 1995, 109 Min.