Boykottiert den TED!

Sie haben es so gewollt: Zum tausendsten „Marienhof“ und dem ganzen interaktiven Drumherum – ein Verriß  ■ Von Christoph Schultheis

Also, was ist?“ – „Also, was ist jetzt: Machst du's, oder machst du's nicht, hm?“ Gut 25 Minuten liegen zwischen diesen beiden Fragen – eine ganze Folge „Marienhof“, die 999., um genau zu sein. Nach ihrer Ausstrahlung dürfen die Zuschauer heute abend per TED entscheiden, wie es zum morgigen Jubiläum weitergehen soll. Und sinnfälliger als mit dieser Aktion hätten die Drehbuchautoren des Vorabend-Soap ihre dramaturgische Einfallslosigkeit gar nicht unter Beweis stellen können: „Also, was ist?“ fragt Richie.

Der ist neu in der vorabendlichen ARD-Soap-opera. Ein übles Bürschchen. Richie will nämlich, daß Klassenkamerad Tobias im Zirkus „Barlay“, der gerade im Marienhof gastiert, zu den Tigern in die Manege geht. Unbeaufsichtigt. Als Mutprobe. Denn Tobi ist verliebt in Richies Freundin Lee. „Weißt du was? Verpiß dich einfach!“ sagt Tobi. Cool sagt er's. Und vorbildlich obendrein. Ist ja schließlich öffentlich-rechtliches, pädagogisch wertvolles Terrain, auf dem der Zirkus sein Zelt aufgeschlagen hat.

Warum Tobias dann allerdings am Ende wieder vorm Tigerkäfig steht und Richie ihn noch mal dasselbe fragt wie am Anfang, weiß der Himmel. Vielleicht, weil es die Serie erst mit derartigem Auf-der- Stelle-Treten geschafft hat, überhaupt 1.000 Folgen zustande zu bringen. Das ranschmeißerische Motto der Serie – „Es wird viel passier'n“ – klingt da jedenfalls geradezu zynisch. Ebensogut könnte man das TV-Publikum darüber abstimmen lassen, ob Tobi nicht vielleicht mal wieder zum Frisör sollte oder ob er im Sitzen pinkelt. „Also, was ist jetzt: Machst du's, oder machst du's nicht, hm?“

Denn als Zuschauer hat man die ganze Zeit über das Gefühl, den Regisseuren sei ein mittelmäßiger Schulaufsatz zum Thema „Mann oder Memme? Pro und contra Mutprobe“ zwischen die Drehbuchseiten gerutscht.

„Eskapist!“ lachen die „Marienhof“-Pressedamen schon mal ins Telefon, wenn man ihnen seine verbotene Liebe zu einer ganz anderen ARD-Daily gesteht, in deren Windschatten der „Marienhof“ durch den Vorabend surft. Dabei bedeutet (das Marienhöfische) Realitätsbemühen doch vor allem eines: deprimierende Langeweile. Turbulente Ereignisse rund um den mittelständischen Gärtnereibetrieb von Familie Busch (!) – mit dieser Grundidee ging die werktägliche „Lindenstraße“-Kopie am 1. Oktober 92 (damals ebenfalls noch als Weekly) auf Sendung und hat sich seither nie durch besonderen Einfallsreichtum hervorgetan.

1997 z. B. kaufte man sich mit einer Viertelmillion unserer kostbaren GEZ-Gebühren als einer der Hauptsponsoren in die Love Parade ein, schickte gar einen eigenen Wagen ins eskapistische Technorennen rund um die Siegessäule, nur um eine Handvoll vor Ort gedrehter Szenen drei Monate später auszustrahlen, wenn das Thema Love Parade so heiß ist wie ein Teller laue Hühnersuppe. Das zeugt nicht gerade von überbordendem Wirklichkeitssinn.

Der eigentliche Fehlschlag der interaktiven Jubiläumsaktion aber ist gar kein inhaltlicher, sondern ein konzeptueller: Fernsehen ist ein Konsummedium. (Und für die Interaktion hat man schließlich die Fernbedienung in der Hand.) Gerade das Daily-Soap-Format zeichnet sich aus durch einen unaufhörlich konsumierbaren Handlungsablauf. Sie lebt von der Spekulation über das „ob oder ob nicht“. Entschieden wird woanders.

Apropos: Ob die Zuschauer den armen Tobi morgen als Depp ([01372] 07715-1), als Feigling ([01372] 07715-2) oder als ein ebensolches Arschloch wie sein Widersacher Richie ([01372] 07715-3) aus dem Zirkuszelt kommt lassen wollen, ist den Marienhofern grad egal. Denn was steht da als Zusammenfassung der 1000. Folge im aktuellen Gong: „Tobias und Lee werden ein Paar.“

Ein konzertierter TED-Boykott wäre daher die einzige Möglichkeit, mit der Interaktionslüge umzugehen: Konsumverweigerung zum Wohle des Konsums!