Kleines Glück unter Gleisen

■ „Kultur greift Raum“: Der taz-Report zeigt, an welch sonderbaren Orten sich das Schöne behauptet. Teil eins: das Fundbureau

Für den wahren Genuß schafft sich der Kunstfreund seine Bedingungen. Stille. Ruhe. Muße. Kunstrezeption ist ein Sichversenken ins Schöne – denkste! Radau! Holterdipolter! Im Minutentakt rumpeln die S-Bahnen, ICEs und Güterzüge über die Räume des Fundbureaus. Wo noch bis Ende vergangenen Jahres die Bahn regelmäßig verlorengegangene Regenschirme und Reiseutensilien versteigert hat, residiert heute ein Verein zur Förderung künstlerischer Projekte.

„Ich kam in die Räume und dachte, mich trifft der Schlag, weil das alles so riesig und toll hier ist.“ Christian Liebisch, Gründungsmitglied und Performer, kann sich vor Begeisterung kaum einkriegen. Durch einen schmalen Gang kommt der Besucher von der rostigen Sternbrücke in den kleinen Eingangsbereich in der Stresemannstraße 114. Dann erreicht er durch einen Stich die zwei gewölbten Hallen, fensterlos und dunkel. Sie erinnern an Weinkeller und so an die ursprüngliche Nutzung – als Kneipe für Altonas Arbeiter. Vereinzelt lugen sogar noch Fresken von Weinranken durch den Putz.

„Der Ort eignet sich für Projekte, die man in einer Galerie nicht machen kann“, sagt Liebisch. „Dort hängt man ein Bild an die Wand, hier können die Künstler ganze Räume gestalten.“ Für ihn ist ein Traum in Erfüllung gegagen. Zunächst dachte er noch darüber nach, in den Gewölben Ateliers einzurichten. „Dann habe ich mit Ute und Caro gesprochen, und schon waren wir ein Team.“ Und schon begannen die Probleme: Ein Verein mußte gegründet, ein Konzept erstellt werden, um der Deutschen Bahn die Vermietung plausibel zu machen. Aufwendige Renovierungsarbeiten folgten.

Vor allem aber mußten die Gründungsmitglieder des Fundbureaus sich auf ein gemeinsames Kunstverständnis einigen. „Wir glauben nicht an eine Avantgarde oder einen Standard“, erläutert Carolin Wagner das Credo. „Wir wollen eine Kommunikation und immer wieder Fragen stellen. Wir betrachten Kunst und Leben als einen Prozeß, als unendliches Wachstum.“ Was sich anhört wie ein Durchschnittsstatement zwischen Kommunikationsdesign, Esoterik und Kunsthochschule, wird von Christian Liebisch relativiert: „Wir fühlen uns bei diesen akademischen Künstlern nicht wohl. Das ist nicht unsere Wellenlänge.“ Weshalb auch jeder eingeladen ist, eigene Vorschläge zu machen (Kontakt: Tel. 43 25 13 51). So hat sich bereits der Dienstagsclub etabliert, der einmal die Woche ab 21 Uhr zu bestimmten Themen tagt.

Das Unternehmen Fundbureau ist eine offene Angelegenheit, Spaß und Kunst schließen hier einander nicht aus. So berichtet Ute Daxl von der Idee, eine Kindergeisterbahn zu installieren. Bei den imposanten Gewölben gar nicht so abwegig. Und zur Weltmeisterschaft wurden Tipp-Kick-Spiele aufgestellt, auf deren grünem Filz die eben noch im Fernsehen gesehenen Szenen nachgespielt wurden. Dennoch sind Schlagworte wie Kommunikation durchaus ernst gemeint. So war das Monatsmotto für Juni „Bewegung“ – im Dialog mit der unwirtlichen Lage des Fundbureaus. An der Ecke Stresemannstraße/Max-Brauer-Allee, mit den Gleisen über den Köpfen, herrscht immer Bewegung. Allen Aktionen gemein ist ihr undogmatischer Anspruch: Indische Videoclips wurden gezeigt, ebenso gab es eine spektakuläre Theremin-Performance.

„Das ganze Konzept hört sich jetzt vielleicht sehr überladen an“, gibt Caro Wagner zu, „aber weil die Räume eben so groß sind, kann man hier eine ganze Menge machen“. Selbst Lesungen sind in den Räumen unter den Gleisen möglich: „Unser Mitglied Frank Horstmann hat hier schon kunstgeschichtliche Vorträge gehalten. Und trotz Bahn hat man ihn verstanden. Ohne Mikro, kein Problem.“

Eberhard Spohd

In loser Folge stellen wir unter dem Motto „Kultur greift Raum“ Einrichtungen vor, für die sich Menschen ungewöhnliche Orte erschließen. Am Sonnabend lesen Sie über das Westwerk – freigeistige Oase zwischen den Edelabsteigen der Stadt.