Postkartenromanersatzentwurfsdivertimento

■ Die allergrößten und allerbeeindruckendsten Lebensmöglichkeiten in den Unendlichkeiten des Badewannenwassers: Das Debüt des Jungschriftstellers Stephan Maus deliriert im Schlaf

„Hajo Löwenzahn“. Irgendwie fängt das Unglück damit schon an. Man kann doch dem Protagonisten seiner ersten Buchveröffentlichung nicht einen derart grausam lächerlichen Namen geben, der auf der Humorskala irgendwo zwischen Peter Lustig und Professor Pustekuchen zu finden ist. Und der, das ist das schlimmste, auf jeder Buchseite durchschnittlich dreimal genannt wird. Bei einem Umfang von 240 Seiten macht das also etwa 700mal „Hajo Löwenzahn“. Hajo Löwenzahn, Hajo Löwenzahn, Hajo Löwenzahn. Der Leser, der da keine nervösen Aggressionen entwickelt, ist gewiß ein ausgeglichener Mensch.

Wir werden den Namen in der Folge jedenfalls nicht mehr nennen. Denn der Titelheld jenes „Badewannendivertimentos“, wie der Untertitel des Buches lautet, trägt unverkennbar Züge seines Erfinders. Wir wollen deshalb einfach „Maus“ sagen. Maus ist 30 Jahre alt, kürzlich nach Berlin gezogen, „ambitioniertes Jungtalent“, wie es heißt, und beschreibt in seinem ersten Buch Lebensentwürfe als Romanentwürfe.

Sein Protagonist fällt zu Beginn des Buches, in seiner neuen Badewanne liegend, in tiefen Schlaf und deliriert sich in der Folge in unzähligen Träumen in die verschiedensten Lebensmöglichkeiten hinein. Und es sind nur die allergrößten und allerbeeindruckendsten Lebensmöglichkeiten, die der Held für sich vorgesehen hat. All diese werden aber nicht im geringsten auserzählt oder fertiggedacht. Sie verlaufen alle im Badewannenwassermeer einer unendlichen Möglichkeitswelt. Das ist natürlich so gewollt. Und vielleicht ist das schon das Anstrengendste an diesem so ambitionierten Romanentwurf: daß beharrlich thematisiert wird, warum das so gewollt wurde, dieses „Nichtsauserzählen“: Es geht um nichts weniger als eine Antwort auf die Unübersichtlichkeit der Moderne, ihre Unerzählbarkeit und die Krise des modernen Romans, die hier leicht und spielerisch aufgehoben werden soll. Immer wieder wird darauf hingewiesen, daß hier ein wenig Joyce zitiert, Rimbaud montiert, Cline nachfabuliert wurde und daß man nur auf diese schöne postmoderne Weise noch etwas zusammenschreiben könne. Daß nur noch Fragmente einer nur noch fragmentarisch erfahrbaren Welt gerecht werden können, der „Postkartenroman“, wie er von Maus genannt wird. „Er beschloß, einen Postkartenroman zu schreiben. Schon schwebte ihm etwas ganz Kunstvolles vor. Ein aphorismenspitzes Formulieren würde adrette Karteikarten schwärzen, ein Ganzes würde in ein atomares Gestotter zerfallen. Die Postkarte als kleinstmöglicher gesellschaftlicher Diskurs, als Kommunikationsmorphem, philosophierte es in ihm.“ Ist ja gut, ist ja gut.

Ständig wird man darauf hingewiesen, zu welchem Zweck dies nun wieder eingefügt wurde, woran hierbei zu denken ist, wie pfiffig man dieses wieder ausgedacht hat. Augenzwinkernd wohl, aber auch mit dem deutenden Zeigefinger, der so ermüdet. Und dann dieses Sich-messen-Wollen an nun wirklich besseren deutschen Jungautoren: „Brussig!“ heißt es an einer Stelle ehrlich beunruhigt, „War Brussig etwa dabei, ihm sein Buch unter der Feder wegzuschreiben? I wo, der Brussig schrieb doch völlig anders. Dann wars Hettches Thomas und nicht Brussigs. Oder gar Marcel Beyer?“

Nein, das ist Maus, ist ganz Stephan Maus, der zwar wohl recht famos zu fabulieren versteht, und einige Passagen seiner Fragmentzusammenstellung sind wirklich lustig, gut geschrieben und phantasievoll, aber sein Bemühen, in vieltönigen Erzählstimmen bunt zu brillieren, bleibt bemüht, eintönig, leer und ganz ohne Substanz. Eine Ersatzerzählung, wo es nichts zu erzählen gibt. Wenn es also tatsächlich eine Krise des Erzählens gibt, hat sie hier eher ihre Bestätigung als ihre Lösung gefunden. Volker Weidermann

Stephan Maus: „Hajo Löwenzahn. Ein Badewannendivertimento“. Rotbuch, 240 Seiten, 34 DM

Etwas erzählen? Aber ich weiß nichts.

Gut, also ich werde etwas erzählen.

(Thomas Mann, „Das Eisenbahnunglück“)