Saugen an der Mutterbrust

Nein, an der geschickten Werbung, den verirrten Konsumenten oder der dekadenten Gesellschaft liegt es nicht, daß täglich Tausende in den Hamburger beißen. „Wenn jemand zehn Jahre Erfolg hat, dann liegt das nicht am Marketing, sondern an der Physiologie“, sagt Udo Pollmer, Leiter des Europäischen Instituts für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften im hessischen Hochheim. Die Rindfleischbulette im Softbrötchen – das ist der perfekt inszenierte physiologische Reiz, die Dinger immer wieder hoffnungsvoll aufs neue anzuknabbern.

Das wichtigste dabei? „Die süßsaure Sauce“, erklärt Pollmer. Die Tunke regt den Speichelfluß an, läßt den Essern das Wasser im Munde zusammenlaufen. Das Softbrötchen saugt den Speichel auf, was besser funktioniert, weil es weich ist und eben keine derbe Öko-Schrippe. Das weiß-weiche Brötchen erinnert an die Mutterbrust. Die Sesamkörner auf der oberen Scheibe geben den Gaumenkick, lösen einen rudimentären Saugreflex aus. „Ein bißchen Regression ist schon dabei“, so Pollmer. Damit das Ganze nicht zu schlabberig wirke, sorge die knackende Gurkenscheibe „für ein bißchen Akustik“. Die Scheibe Tomate liefert das Salatimage. Der Hamburger: ein perfekt designtes Produkt.

Ob der Big Mäc nun gesund oder ungesund ist, diese Frage stellt sich nicht mehr. Was heißt schon gesund? Die meisten Nahrungsmittel sind es nicht. Zuviel Fett? Hamburgerfleisch ist fettärmer als Kebab, ganz zu schweigen von Eisbein. Und überhaupt: „Ein Butterbrot mit Wurst kann auch sehr fett sein“, gibt Pollmer zu bedenken.

Wenn man Nahrungsmittel dann als gesund bezeichnet, wenn sie möglichst wenig Fremdstoffe und wenig Fett enthalten, dann können sogar Pommes frites besser abschneiden als ein Butterbrot: Die Schnitte birgt nicht nur Fett, sondern bringt vom Bäcker jede Menge Chemie mit.

Was ist gesünder, ein Big Mäc oder ein Döner? Das Fleisch im türkischen Weißbrot ist immerhin noch garniert mit reichlich Salat. Alles Illusion. „Der Salat im Döner dient vor allem dazu, das Ganze bekömmlicher zu machen“, meint Pollmer. Ohne Salat wäre der Döner zu fett und das Brot zu trocken. Im Unterschied zum Hamburger regt der Döner mit seinem härteren Brot aber die Beißwerkzeuge an. „Viele Kinder können nicht mehr richtig kauen, weil sie immer nur weiche Nahrung gewöhnt sind“, meint der Foodexperte.

Wer am Hamburger saugend regredieren will, muß noch lange nicht ungesund leben. Die McDonald's-PR- Maschine hat „Tagesernährungspläne“ aufgestellt, nach denen sich auch Erwachsene mit Hamburgern gesund ernähren können, wenn sie rundherum Diät halten. Morgens sind etwas Knäckebrot und frisch gepreßter Orangensaft angezeigt, abends Apfel, Speisequark und Vollkornbrot. Dann darf es mittags auch mal ein Hamburger mit Pommes sein. Barbara Dribbusch