Zwischen den Rillen
: Ges(ch)ichtspflege

■ Diverse Anthologien beschwören den Blues und die arme Seele des 20. Jahrhunderts

Muß Unterhaltung mehr sein als Spaß an der Freud'? Natürlich nicht. Wenn sie's aber doch tut? Kann es auch nicht schaden, wie sich prototypisch in den Sechzigern zeigte, als Folk- und Rockmusikanten die Popmusik mit ganzen Universen politischer und kultureller Gegenentwürfe auf einen historischen Höhepunkt für die Ewigkeit führten.

Reste davon sind geblieben. Zum Beispiel bei den immer wieder mit viel Lob bedachten Produkten aus dem Hause Trikont. Hervorgegangen aus der Münchner Spontiszene, veröffentlicht sich das Label mit Zusammenstellungen wie „Texas Bohemia“ oder „Perlen deutschsprachiger Popmusik“ seit einigen Jahren in einen regelrechten Anthologienrausch. Nun also „Down & out – The sad Soul of the Black South“, erneut eine Anthologie klassischen Zuschnitts: begrenzt auf ein Genre, den Southern Soul, und einen historischen Zeitraum, die Sechziger und Siebziger.

Anachronistisch wie die Schwarzweißaufnahme auf dem Pappcover kommen auf den ersten Blick die Titel daher, von „Crying in the Streets“ über „Ghetto Child“ bis „Why do you treat me like a Tramp?“. Doch am Ende der zwei Dutzend Nummern erweist sich die weltliche Variante des Gospels, mit der das schwarze Amerika sein Schicksal in der Nachkriegszeit ein Stück weiter in die Hand nahm, inhaltlich ebenso wie soundtechnisch, als durchaus zeitgemäß: gebrochen der Klang, ewig die Themen zwischen Hoffen und Bangen.

Zart rumpeln die Rhythmussektionen, warm untermalen sie die Bläser, grell halten elektrische Gitarren Zwiesprache mit den Sängerinnen und Sängern. Auf „Down & out“ dürfen – neben Johnny Copeland, Bobby Blue Bland und Juke Boy Bonner, von denen auch der Laie vielleicht schon einmal gehört hat – vor allem die Vergessenen des Genres noch einmal ihre Geschichten um Liebe, Leid und Lebensmüdigkeit zu Gehör bringen. Geschichten, die als historische Dokumente popkultureller Triebabfuhr und Politisierung ebenso wert sind, in Erinnerung zu bleiben, wie als homogene Stücke Musik.

Daß auch die Songs des britischen Schauspielers, Autors und Komponisten Noel Coward ein Wiederhören wert sind, wußten die Initiatoren des „Red Hot AIDS Charitable Trust“, die mit wechselnden „Red- Hot“-Veröffentlichungen auf dem Gebiet des Benefiz-Samplers so führend sind wie Trikont im Bereich Anthologie. Und so trommelten sie erneut ein Aufgebot von Erstligisten für Neueinspielungen zusammen. „Twentieth Century Blues“ ist ein Festival des Camp-Sentiments, mit verdienten Dandys wie den Pet Shop Boys an vorderster Front, aber auch Grenzgängern wie Michael Nyman oder Vic Reeves und älteren Staatsmännern der Gefühlsinszenierung wie Bryan Ferry oder Elton John. Selbst Paul McCartney und Ex-Take-That- Sänger Robbie Williams (mit einer turbulenten Version von „There are bad Times just around the Corner“) sind dermaßen entertaining, als hätten ihnen über all die Jahre bloßer Hitparaden-Zulieferei genau die ernst zu nehmenden Zusammenhänge gefehlt, in die sie bei der Produktion von „Twentieth Century Blues – The Songs of Noel Coward“ fast unfreiwillig hineingerieten. Pop besinnt sich sozusagen auf die Urform des Pop. Das vage Band, das all die verschiedenen Artisten eint, ist eine Feier britischer Exzentrik, bei der die Beteiligten sich nicht zu schade sind, mit Coward auf ein Prachtexemplar des Genres zurückzugreifen.

Das scheint auch Rufus Wainwright verstanden zu haben, Sohn Kate McGarrigles und Loudon Wainwrights III. Rufus ist einer der seltenen Fälle von Künstlerkind, das auch in den Fußstapfen seiner musizierenden Eltern wild entschlossen bleibt, stilistisch seinen eigenen Weg zu gehen – und sei der am Ende auch vor allem der seines Arrangeurs und Teilproduzenten. Van Dyke Parks heißt der Dreh- und Angelpunkt von Rufus Wainwrights Debütalbum: Ein Sohn von Hippies sucht sich den hartnäckigsten Verfechter aktiver Geschichtspflege, dessen man in der Popmusik habhaft werden kann.

Wainwright jr. spielt seine geliebten Coffee-House-Americana nicht nur nach, er transponiert sie in eigene Variationen. Oder läßt sie transponieren, wie man nach mehrmaligem Anhören zu sagen geneigt ist: unverblümt parksch kommen einen nicht nur die Streicherarrangements des Entwurfs gelegentlich an. Die ganze Platte ist eine Privatanthologie bevorzugter Stimmungen und Sounds, meist an der Vor-Rock 'n' Roll-Zeit orientiert.

Doch gibt Wainwright jr. den genialischen Kunstmusik-Arrangements zwischen Salonorchester und Steel-Drum-Combo mit einem ganz immensen Gefühl von Weltentrücktheit eben durchaus eine eigene Note: müde, blue und von einer scheinbaren Kraftlosigkeit.

Die genauen Ursachen dafür bleiben schleierhaft. Man kann bloß, wie auf den anderen beiden Alben, eine vage Sehnsucht nach Geschichte heraushören, formuliert als pathetisches Statement, mit dem Unterhaltung über bloße Unterhaltung hinaus will. Christian Beck

Verschiedene: „Down & out – The sad Soul of the Black South“ (Trikont)

Verschiedene: „Twentieth Century Blues – The Music of Nol Coward“ (EMI)

Rufus Wainwright: „Rufus Wainwright“ (Universal)