Glück = Dabeisein

Was vom „Glück im Osten“ übrigblieb. Eine Ausstellung der Sammlung industrielle Gestaltung in der Kulturbrauerei  ■ Von Harry Nutt

Die Phantasien vom Glück folgen nicht selten einer Vorstellung vom Entkommen. Im Spot zur Fernsehlotterie „Goldene Eins“ frönt ein fettleibiger Millionengewinner seinem Luxusleben an einem entvölkerten Strand. „Es macht Spaß, Millionär zu sein“, sagt dazu die Stimme aus dem Off. Die Bilder sprechen eine andere Sprache. Wer dem Alltag durch plötzlichen Reichtum vermeintlich entronnen ist, dem verheißt das luxuriöse Dasein nichts als Langeweile. „Welchen ham wer denn heute?“ „November?“ Von Lotto- Lothar, der im Jahre 1994 den ersten Jackpot von über vierzig Millionen Mark geknackt hat, hört man unterdessen, daß er seinen schönen Lamborghini wegen Verlust des Führerscheins wieder verkauft hat. Bonjour tristesse.

Das Glück in der DDR folgte der Idee des Dazugehörens. Vom Gemeinschaftserlebnis war Zeugnis zu geben, immerzu. Über feierliche Brigadenachmittage wurde artig Protokoll geführt. „Es war ein unterhaltsamer Tag.“ Die Ausstellung der „Sammlung industrielle Gestaltung“ in der Kulturbrauerei versucht zu zeigen, was vom „Glück im Osten“ übrigblieb. Das ist schwer genug, denn natürlich kann man Glück nicht in Exponaten herzeigen. Man kann zur Schau stellen, welchen Stellenwert die sozialistische Gesellschaft ihm einräumte.

Ausgestellt wird einmal mehr die bunte Warenwelt, die es entgegen hartnäckiger Behauptungen eben auch in der DDR gegeben hat. Die pure Präsentation von VEB-Nostalgie verfängt immer weniger. Um so besser, daß die Sammlung in der Kulturbrauerei die thematische Verdichtung anstrebt, auch wenn das im Ergebnis bisweilen ein wenig beliebig erscheint. Zu den flotten Mopeds aus der Landesproduktion hat man noch einen Holzroller hinzugesellt, um den Anspruch auf Mobilität seitens der Kleinsten zu demonstrieren.

Das kleine Glück, das die Konsumläden bereithielten, war nicht ungezügelt und unbotmäßig, sondern rational und volkspädagogisch. Statt verführerischer Werbeslogans prangten denotative Formeln von den Plakaten, die Fruchtgetränke aus gesundheitlichen Gründen anempfahlen und bisweilen nicht vor Überschreitung der Norm zurückschreckten. „Greife zu Wein...“ forderte „Konsum“. Was man dann mit diesem oder jenem Süßgetränk wohl auch tat.

Langfristig war der Anspruch auf individuelles Glück, wie er in der amerikanischen Verfassung als „persuit of happiness“ verankert ist, mit der beharrlichen Fürsorgementalität der sozialistischen Gemeinschaft nicht zu vereinbaren. Zwar gab es bereits seit 1953 ein staatliches Lotteriewesen, aber so richtig gewinnen und maßlos glücklich und reich werden konnte man dabei nicht. Ähnlich verhielt es sich auch auf den Galopp- und Trabrennbahnen der DDR, wo im Interesse der Landespferdezucht die schnellsten Tiere um die Wette auf die Piste geschickt wurden. Nur wenige Tage nach Kriegsende hatte der sowjetische Stadtkommandant Nikolai Bersarin dem Drängen von Pferdefreunden nachgegeben und auf der Trabrennbahn in Karlshorst wieder Rennen stattfinden lassen. Zum ersten Renntag am 1. Juni 1945 kamen gleich mehr als 30.000 Zuschauer. Später wollte die Partei die eher unsozialistische Tugend des Wettens nicht wieder unterbinden.

Der Gemeinschaftsgedanke wurde auf den Rennbahnen insofern gepflegt, als man sich häufiger in kleineren Kreisen zusammentat, den Ausgang eines Rennens untereinander vorausschauend diskutierte und das genaue Eintreffen der Absprachen organisierte. So handelte man dem rein kapitalistischen Wettbewerbsgedanken zuwider. Die daraus resultierenden Gewinne wurden untereinander aufgeteilt.

Zeuge des bürokratischen Umgangs mit dem Glück wurde ich übrigens noch in den letzten Tagen der DDR. Mit einem kleinen Gewinn aus Hoppegarten kommend, wurde ich bei der Ausreise von den Grenzbeamten gefragt, woher das Geld stamme, über das ich keine Einfuhrbelege vorweisen konnte. Wahrheitsgemäß gab ich die Quelle an. Es blieb mein einziger durch ein staatliches Dokument verbürgter Wettgewinn.

„Glück im Osten“. Kulturbrauerei, Knaackstraße 97, mittwochs bis freitags 14 bis 21 Uhr, samstags und sonntags 10 bis 21 Uhr, bis 9. März 1999