Geist meets Macht etc.
: Mehr Kultur wagen

■ Die von Klaus Staeck und Johano Strasser initiierte „Aktion für mehr Demokratie“ will den Machtwechsel. Etwas mehr Kultur soll es sein

Wahlkampf ist, und die Macht in spe umgibt sich erstmals seit der geistig-moralischen Wende von 1982 wieder mit der Aura des Geistes. Zuletzt probte Schröder gemeinsam mit Habermas auf der Bühne. Gut, daß es das Willy-Brandt-Haus in Berlin gibt. Die neuerliche Wende, scheint's, hat schon stattgefunden. Es muß bloß noch entsprechend gewählt werden.

Ein bißchen ist es wie früher zu Willys Zeiten. Die waren nicht die schlechtesten, meint der Graphiker und Initiativprofi Klaus Staeck. „Damals haben sich die Kulturschaffenden jedenfalls mehr eingemischt.“ Das, so Staeck, wurde später vielfach denunziert. Die Chancen stehen nicht schlecht, wieder an die „old school“ der Gesellschaftskritik anzuknüpfen. Zusammen mit Johano Strasser hat Staeck die „Aktion für mehr Demokratie“ ins Leben gerufen, der sich zahlreiche Künstler angeschlossen haben. Immer mehr trau'n sich wieder was.

Am 19. August findet in Berlin, natürlich im Brandt-Haus, ein Treffen statt, um ein Manifest zu erarbeiten, das als „eigenständiger Beitrag im Rahmen des Bundestagswahlkampfes eine politische Perspektive für ein kulturelles und soziales Europa formuliert“. Volker Schlöndorff, Claus Peymann, Margarethe von Trotta, Erich Loest und andere haben ihr Erscheinen bereits zugesagt. Der eine oder andere unterbreche sogar seinen Urlaub, sagt Staeck. Er wertet das als handfestes Signal, daß es ihnen die Sache wert ist. Für einige hat diese Art Treffen schon einen Hauch von Klubatmosphäre. Unter dem Namen „Ideentreff Mut für Reformen“ kommen Künstler, Schriftsteller und Journalisten bereits zum 10. Mal zusammen. Gerhard Schröder hat wiederholt vorbeigeschaut, um den Fragen und Tips der Intellektuellen sein Ohr zu leihen.

Internationale Vernetzung gehört auch zum Programm. Keine Politinitiative mehr ohne E-Mail und Anklopftelefon. Im August werden auch Beckenbauer-Freund Jack Lang, die Schauspielerin Jeanne Moreau und die Globalisierungskritikerin Viviane Forrester erwartet. Tony Blair läßt grüßen. „Im Zuge unserer Vorbereitungen haben wir gemerkt, daß Deutschland eines der wenigen Länder in Europa ist, das noch konservativ regiert wird.“ Das soll nicht so bleiben, und die kulturelle sozialistische Internationale, die sich hier zu formieren beginnt, möchte dazu ihren Beitrag leisten. Roger Willemsen wird moderieren.

Der Leipziger Schriftsteller Erich Loest weiß noch nicht so genau, was alles in dem Manifest stehen wird. Aber es werde Zeit, daß wieder mehr für die Kultur getan wird. Wenn seine Erfahrungen dazu beitragen können, stehe er zur Verfügung. Die Kulturpolitik sei in den letzten Jahren ausgedörrt. Geist meets Macht. Fortsetzung folgt. Schwer zu sagen, was daraus wird. Es zeichnet sich jedoch ab, daß an der Überwindung einer großen narzißtischen Kränkung gearbeitet wird. Vorbei die Ära Kohl, in der die Macht vom Geist nichts wollte. Harry Nutt