"Der Westen mag Stereotype"

■ Goran Bregovic, der die Musik zu den Filmen von Emir Kusturica schrieb, über das Glück ungestimmter Instrumente, die Unmöglichkeit, das Schicksal seiner Musik zu kontrollieren, und den Unterschied zwischen Poli

taz: Sie zählten zu den größten Rockstars des ehemaligen Jugoslawien...

Goran Bregovic: Ja, man kann sagen, ich war der größte Rock- 'n'-Roll-Star in Jugoslawien.

Und wann begann Ihre Ablösung von der Rockmusik?

Ich wurde früh berühmt, und dieser Rolle wurde ich auch früh müde. Ich habe immer davon geträumt, eine Karriere zu machen mit, sagen wir, Musik ohne Image. Das habe ich erreicht: Ich verkaufe Platten weltweit, ohne daß die Leute mein Poster an der Wand haben müssen. Heute spiele ich vor ausverkauften Häusern, aber ich muß am Eingang meinen Backstageausweis zeigen. So ist das immer bei meinen Konzerten, und das gefällt mir: Ich muß nicht mehr etwas spielen, was ich nicht bin. Wenn man ein Star ist, macht man keine Musik mehr, man produziert Erfolge – das treibt einen an.

Wie kamen Sie zur Filmmusik?

Durch Zufall. Wenn man vom Rock kommt, ist da eigentlich nicht genug Glamour und nicht genug Geld drin. Ich habe „Time of the Gypsies“ gemacht, weil Kusturica mein Freund war. Anschließend arbeitete ich für „Arizona Dream“ in Paris. Dann brach in Bosnien der Krieg los, und so bin ich geblieben. Das einzige, was mir dort angeboten wurde, waren Filmmusiken. In den drei Jahren, die der Krieg dauerte, habe ich ungefähr fünfzehn Filme gemacht, auch Reklame-Jingles für Parfüm und Margarine...

...und die Musik für Kusturicas Cannes-Film „Underground“. Wie beurteilen Sie im nachhinein die Debatte um den Film? Ihm wurde ja Verharmlosung vorgeworfen...

Sie wissen doch, wie der Westen ist: er mag Stereotype. Wenn keine Stereotype da sind, können sie das Thema nicht sehen.

Wann haben Sie begonnen, sich für die traditionelle Musik des Balkans zu interessieren?

Immer schon. Das war der Schlüssel zum Erfolg meiner Gruppe in Jugoslawien. Wir haben Millionen Platten verkauft, weil immer schon etwas Traditionelles, Eigenes in unserer Musik enthalten war. Schon auf meinen ersten Rock-Platten habe ich mit Blaskapellen, mit traditionellen Sängern oder Sängerinnen gearbeitet und traditionelle Instrumente und Melodien integriert. Wir waren eine echte Jugo-Band, mit einem sehr jugoslawischen Beigeschmack. Es ist so seltsam mit der Rockmusik: Man hat überall auf der Welt, ob in Deutschland, Rußland oder Thailand, diesen provinziellen Rock-'n'-Roll, überall. Immer wird versucht, irgendwelche Vorbilder zu imitieren. Ich habe deswegen schon immer gerne mit traditionellen Musikern gearbeitet. Die müssen nichts nachmachen.

Sie haben diese Balkanklänge allerdings auf eine sehr „postmoderne“ Art verarbeitet.

Auf eine provinzielle Art, würde ich eher sagen. Deswegen zeige ich meine frühen Platten nicht gerne anderen Leuten. Manchmal recycle ich alte Songs von mir – zum Beispiel die Stücke, die Iggy Pop singt, das sind alte Stücke von mir –, diese Stücke sind vielleicht nicht schlecht. Aber sie sind gekleidet, um auszusehen wie amerikanische oder britische Rockmusik. Das ist mir heute peinlich. Das ist provinziell.

Was macht Ihre Beziehung zur Gipsy-Musik aus?

Die hat mich sehr geprägt. Nehmen sie diese Brassbands, für mich ist das der frühe Punk. Sie spielen auf altmodischen Militärtrompeten, es ist nicht perfekt gestimmt – wie früher Punk eben. Punk war in dem Moment tot, in dem Chris Thomas „God save the queen“ produzierte. Das war das Ende von Punk, als die Sex Pistols ihre Instrumente stimmten und einen professionellen Produzenten engagierten. Diese Blasinstrumente dagegen sind unmöglich perfekt zu stimmen, das hat etwas sehr Menschliches an sich. Wenn etwas „out of tune“ ist, macht mich das immer glücklich. Deswegen arbeite ich gerne mit Gipsy Trumpet Bands.

Auf dem Balkan wird ja jetzt allenthalben nach dem „Eigenen“ gesucht. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Ja, Kroaten und Serben versuchen jetzt, so verschieden wie möglich zu sein. Sie erfinden neue Sprachen... Am Anfang mutet das albern an. In 100 Jahren wird es vielleicht Unterschiede geben, doch im Moment versteht noch jeder jeden. Ich kann da nicht mitspielen. Mein Vater war Katholik und Kroate, meine Mutter ist orthodoxe Serbin, meine Frau ist Muslimin. Es wäre ziemlich kompliziert, eine Nation zu erfinden, für die ich Nationalist sein könnte.

Es ist auffallend, wie Ihre Musik Grenzen überschreitet. Sie werden in Bulgarien, Jugoslawien, der Türkei und Griechenland gleichermaßen geschätzt – in Ländern also, die sich ansonsten eher gegeneinander abschotten.

Nun ja, wir waren 500 Jahre unter den Türken, das läßt uns einige Dinge gemeinsam haben. Aber alles, was gut ist, überwindet Grenzen. Mozart überschreitet Grenzen, auch wenn er Österreicher ist. Bach, obwohl er sehr deutsch ist... Wenn ich in Portugal oder Spanien spiele, ist es auch nicht anders als in Jugoslawien oder in der Türkei: Wenn es ein gutes Konzert ist, wird man es mögen. Wenn man MTV sieht, bekommt man allerdings das Gefühl, es gäbe nichts anderes auf der Welt – wenn du kein MTV- Künstler bist, bist du tot. Aber das ist nicht wahr. Es gibt Millionen Menschen überall auf der Welt, die neugierig sind, andere Sachen zu sehen und zu hören.

Glauben Sie, daß Musik die Kraft hat, Menschen zusammenzuführen?

Nein. So naiv bin ich nicht, schließlich komme ich aus einem Land, in dem gerade erst ein Krieg stattfand. Ernsthaft glauben kann man das nicht. Politik wird dich immer benutzen. Die Künste werden niemals die Kraft haben, irgend etwas zu verändern. Sie werden immer durch die Politik benutzt werden.

Wie schützen Sie sich denn vor falscher Vereinnahmung?

Man kann das Schicksal seiner Musik nicht kontrollieren. Als ich das erste Mal meine Songs im Fußballstadion gesungen gehört habe, war ich geschockt. Einige meiner Stücke wurden zu regelrechten Gipsyhymnen in der Region... und sollte meine Musik für nationalistische Zwecke eingesetzt werden, tut mir das leid. Doch ist es etwas, was ich nicht kontrollieren kann. Ich glaube, ich bin jetzt einer der meistbeklauten Komponisten im Westen – was schön ist. Meine Musik ist nicht nur zum Kaufen, sie ist auch zum Stehlen da.

Ihre Musik wurde auch auf den Demonstrationen in Belgrad gespielt...

Darauf war ich sehr stolz. Denn diese Demonstrationen in Belgrad, während dieser drei Monate, waren nicht politisch im engen Sinne. Die Menschen haben für klare Regeln demonstriert. Okay, wir wählen, und wir wollen nach festen Regeln wählen. Ich erinnere mich an meine Rede vor den Studenten, als ich dort war. Sie haben meine Stücke gesungen, und ich wurde sehr herzlich aufgenommen. Ich habe ihnen gesagt, daß ich sehr stolz bin.

Ich war stolz darauf, so wie ich stolz darauf war, als ich, vor dem Krieg, in Sarajevo zum Präsidenten des dortigen Boxclubs gewählt wurde. Ich war stolz, von Boxern akzeptiert zu werden, also von Menschen, die von Angesicht zu Angesicht nach klaren Regeln kämpfen. Denn das macht den Unterschied zwischen Boxen und Straßenkampf aus. Die Leute in Belgrad kämpften für die gleiche Sache, für Regeln. Das macht den Unterschied aus zwischen Politik und Gangstertum.

Wie beurteilen Sie die Aussichten für die Region?

Das ist einfach ein sehr unglücklicher Platz. Leute, die das zum ersten Mal im Fernsehen sehen, glauben vielleicht, das da etwas Außergewöhnliches passiert. Unglücklicherweise ist das überhaupt nichts Neues in der Geschichte, das war immer schon so. Einfach ein sehr unglücklicher Ort.

Wie oft sind Sie in ihrer alten Heimat?

Ich wohne momentan in Paris, aber ich habe noch ein Atelier in Belgrad, dort arbeite ich. In Frankreich geht das nicht, ich habe es probiert. Aber ich kann nicht arbeiten wie ein klassischer Komponist, allein mit Piano und Sonnenaufgang. Ich muß umgeben sein von den Leuten. Ich habe mir in Belgrad ein Haus gekauft als Atelier, dort unterhalte ich eine Art Workshop, vier, fünf Leute arbeiten dort als meine Assistenten. Ich habe versucht, das gleiche in Paris zu tun, aber ich finde in Frankreich nicht diese 7/8-Rhythmen, diese 11/8-Rhythmen, das ist für mich kein Ort zum Arbeiten.

Vielleicht kehre ich eines Tages nach Sarajevo zurück, aber im Moment ist es nicht praktikabel. In Sarajevo gibt es Probleme mit der Heizung, mit der Elektrizität. Ich arbeite mit fünf Computern gleichzeitig. Wenn da ständig der Strom abgestellt wird, gehen die Geräte drauf.

Wissen Sie, wenn man jung ist, glaubt man, alle Möglichkeiten der Welt erkunden zu können, weil das Leben lang ist. In einem bestimmten Alter merkt man, daß das Leben sehr kurz ist, und wenn man Glück hat, kann man gerade eine Möglichkeit ausprobieren. Das ist, was ich jetzt tue. Ich sehe mich selbst als balkanischen Komponisten. Das erforsche ich jetzt. Ich habe keine Zeit, etwas anderes zu machen.

Haben Sie noch Kontakt zur Musikszene in Sarajevo?

Nein. Aber es wird sicher noch solche Jungs geben, wie ich einst war. Im Alter von 14, da ziehen Mädchen doch Gitarristen den Automechanikern vor.

Deswegen sind Sie Musiker geworden?

Jeder fängt doch deswegen mit Rockmusik an. Interview: Daniel Bax