■ Fremdheitstheater: In Deutschland wird man im europäischen Vergleich mit den Themen Herkunft oder „Wurzeln“ geradezu belästigt
: Niemals nicht integriert

Ich bin voll integriert, trotz meiner „ausländischen“ Herkunft. Ich beherrsche die deutsche Sprache. Ich bin in die „deutsche Kultur- und Werteordnung eingefügt“ (und das sogar im Gegensatz zu den meisten Eingeborenen, oder sind „Piercing“ und „Postmaterialismus“ etwa Ausdruck deutscher Werte?). Ich gehe am Arbeitsplatz auf meine „deutschen Mitbürger“ zu, und ich habe mich auch schon in Vereinen „engagiert“.

Wenn ich es recht bedenke, war ich eigentlich noch niemals nicht integriert. Mein Vater ist schon seit 40 Jahren in Deutschland und ist ebenfalls „integriert“, meine Mutter ist eine Autochthone. Griechisch beherrsche ich nicht. Daher bin ich, um es mit dem britischen Autor Hanif Kureishi zu sagen, ein waschechter Deutscher, jedenfalls beinahe...

Auf dieses „beinahe“ machen mich meine „deutschen Mitbürger“ beharrlich aufmerksam. Denn in Deutschland wird man im europäischen Vergleich mit den Themen Herkunft oder „Wurzeln“ geradezu belästigt. Auch wenn ich mich ganz zweifelsohne für einen Deutschen halte – für was auch sonst? –, machen mich „echte“ Deutsche ununterbrochen darauf aufmerksam, daß ich doch irgendwie komisch bin. Das fing schon in der Schule an. Obwohl jedem Lehrer vollkommen klar war, daß ich keine besonders intensive Beziehung zu meinem „Heimatland“ unterhielt, schienen sie mich dennoch für eine Art Fachmann für Griechenlandfragen zu halten; Geschichte, sogar antike, Klima, Tagespolitik – immer sollte ich mich dazu äußern. Selbstverständlich reagierte ich zunehmend ärgerlicher, denn schließlich mußte ich jedesmal passen.

Ebenso ärgerlich reagiere ich mittlerweile, wenn bei jedem Telefonanruf, den ich mit einer mir unbekannten Person führe, mein Name zum Thema wird. Jeder Wunsch nach einer Dienstleistung ist mit einer fast inquisitorischen Befragung verbunden: „Wo stammen Sie denn her?“, „Sind Sie Grieche?“ oder etwas deftiger: „Ah, aus Papadopolous-Land!“ Noch der Zöllner an der Paßkontrolle, der im übrigen meinen Paß jedesmal genau kontrolliert, während links und rechts neben mir die „Hellen“ einfach durchlaufen, schaut in meinen offenkundig deutschen Paß und fragt: „Grieche?“ Umgekehrt geht im übrigen auch: „Wann gehen Sie denn zurück?“ In all diesen Fragen wird ständig Zugehörigkeit verhandelt: So findet allein anhand der Namen in Deutschland den lieben langen Tag ein Prozeß der symbolischen Ausgliederung statt.

Auch die Frage nach der Sprache wirkt in diesem Sinne als „Grenzposten“. Während die CSU von Migranten verlangt, daß sie Deutsch können, betrachtet der Rest der Gesellschaft es offenkundig als pathologische Störung, wenn die Kinder der Migranten ihre „Heimatsprache“ nicht mehr beherrschen. Ob ich Griechisch könne, ist immer eine der ersten Fragen, wenn ich mich mit Fremden unterhalte. Wenn ich verneine, dann schauen mich die Leute voller Mitgefühl an, so als litte ich an Legasthenie. Ein entfernter Bekannter, der Psychiater ist, attestierte mir sogar eine „offene Wunde“, einen verdrängten Identitätskonflikt. Denn schließlich habe man da doch „Wurzeln“, obwohl man es kaum merke. Nach solchen Aussagen könnte man wohl mutmaßen, daß ein bestimmter Teil der „Probleme“ von Jugendlichen „ausländischer“ Herkunft vor allem im Kopf der Eingeborenen stattfinden.

Der ganze Herkunftsterror geht oft bis zur vollständigen Realitätsverleugnung. Einem meiner Tennispartner habe ich schon mehrfach erklärt, daß ich nie in Griechenland gelebt habe und auch nur des Deutschen mächtig bin. Dennoch glaubt er offensichtlich an irgendeine genetische Bindung an die „Heimat“: Bei prallem Sonnenschein und 30 Grad im Schatten macht er mich darauf aufmerksam, dies sei ja wohl „mein“ Wetter. Und jedes Gespräch endet gewöhnlich mit dem Satz: „Ich weiß ja nicht, wie das in Griechenland ist...“

Wenn ich in den letzten Monaten mit anderen Deutschen „ausländischer“ Herkunft gesprochen habe, dann haben alle immer von solchen Erlebnissen symbolischer „Entfremdung“ berichtet. Zudem haben alle meine Gesprächspartner betont, wie satt sie dieses Fremdheitstheater haben. Am Ende landet man vielleicht trotz aller Integration wieder in der griechischen oder türkischen etc. Gemeinde, nicht, weil man dort seine Ethnizität zelebrieren oder mit „seinesgleichen“ verkehren möchte, sondern weil dort die Herkunft paradoxerweise keine Rolle spielt, weil man dort als Individuum akzeptiert wird.

Insofern würde Integration auch bedeuten, daß Eingeborene sich daran gewöhnen, daß heute etwa Terkessidis auch ein deutscher Namen ist. Mit Integration müßte gemeint sein, daß Herkunft in der Politik genausowenig wie im Alltag eine Rolle spielt. Ein „fremder“ Name sollte nicht mehr „Mitbürger“ signalisieren, sondern einfach Bürger unter anderen Bürgern. Tatsächlich ist es wohl eher die Integrationsbereitschaft der Eingeborenen, an der es hier mangelt. Das ist aber nicht etwa ein moralisches Problem, sondern ein politisches. Denn aufgrund des deutschen Staatsbürgerrechts wurde den Migranten nie ein echtes Integrationsangebot gemacht.

Anstatt heute, wie es die CSU oder der Berliner Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) tun, von „Ausländern“ die komplette Eingliederungsleistung zu erwarten, hätte man in der Vergangenheit besser eine Mindestanforderung für Integration erfüllen sollen: Mitgliedschaft! Aber Integration hieß hierzulande letztlich wenig mehr, als für Disziplin zu sorgen. Seit 40 Jahren gibt es Einwanderung nach Deutschland: Wenn Migranten heute nach dem Empfinden einiger Politiker nicht ausreichend integriert sind, dann ist dies zuallererst ein Problem der Politik in der Bundesrepublik Deutschland.

Wie gesagt: Ich spreche hier keineswegs über die „bösen“ Deutschen. Denn wo sollten die Eingeborenen das Bewußtsein dafür hernehmen, daß Deutsche nicht grundsätzlich „hell“ sind und Schmidt heißen? Einstellungen ändern sich nicht durch wohlwollendes Zureden, sondern durch Praxis. Und in diesem Sinne sorgt das deutsche Staatsbürgerrecht auch dafür, daß Migranten in nationalen Institutionen nirgendwo repräsentiert sind. Nicht als Politiker, nicht als Lehrer, nicht in Ämtern oder – um ein aktuelles Beispiel zu nennen – nicht in der Fußball-Nationalmannschaft. Und an deren Mißerfolg zeigt sich denn auch, wo es hinführt, wenn man immer die anderen für alles verantwortlich macht. Mark Terkessidis