piwik no script img

AnalyseDie gedopte Tour

■ Der Festina-Skandal zeigt die Unzulänglichkeit der Kontrollen

Gestern früh standen die Dopingkontrolleure der Tour de France schließlich auch vor der Tür des Teams Telekom, um Bluttests durchzuführen. Fündig wurden sie natürlich nicht, ebensowenig wie bei den zahlreichen anderen Proben, die zuvor bei anderen Mannschaften gesammelt wurden. Nach den Turbulenzen der letzten Woche um das Team Festina und seinen mit einem ganzen Dopingarsenal erwischten Masseur ist kein Mannschaftsarzt so töricht, seine Leute ausgerechnet jetzt mit illegalen Mitteln vollzupumpen. Im Gegenteil. Der durchschnittliche Hämatokritwert soll so niedrig gewesen sein wie lange nicht mehr. Hinweis darauf, daß sich die Teams ihrer Vorräte des verbotenen Mittels EPO, das die Zahl der roten Blutkörperchen und damit die Ausdauer erhöht, vorsichtshalber entledigt haben. EPO ist das aktuelle Zaubermittel des Radsports, denn weil es direkt noch nicht nachweisbar ist, geht dies nur über einen Hämatokritgrenzwert. Dieser liegt bei 50 Prozent, und jeder Doktor sieht nun zu, daß seine Schützlinge diesen Wert genau erreichen, aber ja nicht darüber liegen. Kein Zufall, daß EPO den Löwenanteil der beim Festina-Masseur gefundenen Medikamente ausmachte.

Auch kein Zufall, daß die Mannschaft nicht bei Kontrollen, sondern durch eine polizeiliche Observation überführt wurde. Urinproben werden bei der Tour täglich genommen, vor allem bei den Etappensiegern. Gefunden wird immer weniger im Vergleich zu früher, als so ziemlich jeder Radprofi von Merckx bis Delgado irgendwann aufflog. Das liegt natürlich nicht daran, daß weniger gedopt wird, sondern daß es fachkundiger getan und von Ärzten beaufsichtigt wird. Nur wenn die Akteure selbst herumpfuschen oder ein Fehler passiert, gibt es positive Befunde – oder Tote, wie in der Frühphase von EPO. Viele ehemalige Radprofis sowie Mediziner, die mit dem Radsport zu tun hatten, bestätigen nahezu flächendeckendes Doping, der Genfer Arzt Gremion spricht von 99 Prozent aller Fahrer. Nachweisbare Mittel wie muskelbildende Anabolika werden vor der Wettkampfsaison eingesetzt und wären nur durch Trainingskontrollen zu entdecken, die relativ selten stattfinden. Manche Medikamente sind gar nicht nachweisbar, manche mit anderen Mitteln zu kaschieren, andere noch nicht bekannt. „In den Laboratorien hat man immer das eine Produkt Vorsprung vor dem Reglement“, sagt Radsport-Legende Eddy Merckx. Da alle Beteiligten dies wissen, hat man sich auf ein Gentlemen's Agreement verständigt: Solange keiner erwischt wird, ist alles sauber. Diese These hat der Festina-Skandal zum Leidwesen aller, die an der Tour verdienen, erschüttert. Andererseits hat der Radsport bisher jeden Skandal überstanden. Die nächste Bergetappe kommt bestimmt. Matti Lieske

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen