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: Schildkröte im Duell

„Sabine Christiansen“, Sonntag, 21.45 Uhr, ARD

Nun hatte ich immer nur Meerschweinchen. Das heißt, eigentlich hatte ich nur einmal ein Meerschweinchen, bis meine Mutter fand, ich könnte den Käfig auch selber saubermachen. Jedenfalls hatte ich nie eine Schildkröte. Vielleicht war ich deshalb so fasziniert von Oskar Lafontaines Auftritt.

„Das Duell“ nannte das Christiansen-Team die Sendung, in der sich der SPD-Vorsitzende und CDU-Kronprinz Wolfgang Schäuble als einzige Gäste gegenübersaßen. Ob sich die beiden Volksparteien nach der Bundestagswahl eher hauen oder herzen werden, hängt ganz wesentlich an ihnen. Wer also ablesen wollte, ob es nach der Wahl zur Großen Koalition kommt, mußte sich an diese Sendung halten.

Meine Faszination rührte nicht von Momenten, in denen Lafontaine über Politik redete und ihm laufend Worte wie „Maschinenumlaufzeiten“ aus dem Mund fielen. Vielsagend waren die Augenblicke, in denen er Ruhe gab. Von den Presseplätzen im Publikum läßt sich verfolgen, was die Fernsehkameras ausblenden. Wann immer sein Gegenüber spricht, überkommt ihn Starre. Der im Laufe der Jahre überraschend schwer gewordene Leib ruht am „Christiansen“-Tisch unbeweglich wie der einer Schildkröte am Strand von Galapagos. Und gerade, wenn die Starre schon beim Zuschauen zu schmerzen beginnt, reckt sich fast unmerklich der Kopf ein winziges Stück. Keinen Moment lassen die glitzernden Äuglein vom Gegenüber, auch als sich der Kopf wieder zurückzieht. Nur keine Bewegung zuviel. Nur nichts entgehen lassen. Nur keinen Fehler machen. Das Motto für eine Große Koalition?

Nach der Sendung, als Herr Lafontaine noch mit Frau Christiansen plaudert, werden die Polit-Auguren sich zuraunen, daß sich die Kontrahenten von SPD und CDU doch ganz wunderbar verstanden hätten. Einigkeit beim Wunsch nach einer restriktiven Zuwanderungspolitik sei festgestellt worden und auch bei der Forderung, daß die Bürger beim Aufschwung selbst mit anpacken sollten.

Womöglich hatten die Parteienkenner zwei Sätze von Wolfgang Schäuble überhört, die nicht so recht ins großkoalitionäre Idyll paßten: „Wir sollten den Streit der Parteien nicht so verteufeln. Es ist das freiheitsstiftende Moment in dieser Gesellschaft.“ Die Schildkröte nahm es hin – unbewegt. Patrik Schwarz