Bei 40 Grad in die äthiopische Wüste geschickt

■ Mit Massenverhaftungen und Ausweisungen geht Äthiopiens Regierung gegen die im Land lebenden Eritreer vor – insbesondere solche, die Geld haben. 9.000 wurden bereits abgeschoben

Berlin (taz) – Mit der Internierung und Abschiebung Tausender Eritreer bereitet sich Äthiopiens Regierung offenbar auf eine neue Runde des seit Mai andauernden Krieges zwischen Äthiopien und Eritrea vor. Allein in der Hauptstadt Addis Abeba wurden am 10. Juli mehrere hundert Geschäftsleute eritreischer Herkunft verhaftet, manche davon bereits in zweiter Generation in Äthiopien und äthiopische Staatsbürger. Am vergangenen Mittwoch meldete die eritreische Regierung die Ankunft von 600 Vertriebenen, darunter erstmals größere Zahlen von Frauen und Kindern.

Seit Beginn der Aktionen gegen Eritreer in Äthiopien vor rund vier Wochen sind inzwischen etwa 9.000 Eritreer, darunter auch europäische Staatsbürger eritreischer Herkunft, in verschiedenen äthiopischen Städten verhaftet und anschließend meist in der Halbwüste bei Om Tajer bei Temperaturen um 40 Grad und schlechter Versorgung über die Grenze geschafft worden. Ein Student berichtet, darunter sei zum Beispiel ein 87jähriger Geschäftsmann, der das damals italienische Eritrea vor über 60 Jahren verlassen hatte. In der nordäthiopischen Provinz Tigre sollen eritreische Bauern von ihren Höfen verjagt worden sein.

Der seit 30 Jahren in Addis Abeba lebende eritreische Kleinhändler Tesfamariam berichtete am 14. Juni telefonisch vom Beginn der Verhaftungen: Kollegen seien verschwunden, Freunde würden frühmorgens festgenommen. Das große Sportfeld Jammeda vor der Hauptstadt sei zu einem Lager umfunktioniert worden. Am Tag darauf wurde auch Tesfamariam abgeholt. Seine Familie berichtet, sie wolle Äthiopien nicht verlassen, bereite sich aber inzwischen auch auf die Ausweisung vor.

Ein Student an der Universität Addis Abeba, der seinen Namen nicht nennen kann, meint, mehrere Studenten seien verschwunden, aber keiner wisse, wie viele, weil das Semester bereits vorbei ist. Nach Berichten internationaler Beobachter sind 85 Studenten, die im Rahmen eines Austauschprogramms aus Eritrea nach Äthiopien kamen, sowie über 300 Schüler eritreischer Abstammung im Lager Fiche rund 90 Kilometer nördlich von Addis Abeba interniert.

In einem Interview mit dem äthiopischen Fersehen hat Ministerpräsident Meles Zenawi erklärt, Äthiopien als souveräner Staat habe das Recht, auszuweisen, wen immer es wolle. Es genüge bereits, wenn der Regierung „die Farbe der Augen nicht gefällt“, so Meles Zenawi. Der übliche Grund für die Ausweisungen lautet, daß die Eritreer Geld für ihre Regierung zum Krieg gegen Äthiopien gesammelt hätten.

Ein Blick auf den sozialen Hintergrund der Betroffenen läßt allerdings einen anderen Grund vermuten. Die Ausweisungen gehen mit einer umfassenden sozialen Umverteilung einher. Ein Großteil der Fabrikanten und Geschäftsleute eritreischer Herkunft in Äthiopien ist inzwischen inhaftiert oder bereits abgeschoben. Ihr insgesamt beträchtliches Vermögen – vor allem der Kleinhandel liegt traditionell in eritreischen Händen – wird bereits teilweise zwangsveräußert. Eritreische Betreiber der militärisch wichtigen Tankstellen wurden ebenso wie Tanklasterfahrer bereits im Juni enteignet.

Die Zahl der in Äthiopien lebenden Eritreer wird auf eine halbe Million geschätzt. Zum Auftakt der Ausweisungen Mitte Juni hatte Äthiopiens Regierung von Zwangsausweisungen aus Eritrea und Internierungslagern für Äthiopier berichtet. Es gibt tatsächlich Berichte über gewalttätige Auseinandersetzungen in Eritrea zwischen einheimischen Jugendlichen und Wanderarbeitern aus der nordäthiopischen Provinz Tigre, worauf letztere das Land verlassen hätten. Wolbert Smidt