■ Vorschlag
: Fishing for identity: „Slaves to the Underground“ von Kristine Peterson

Die höhere Geschlechterkunde ist extrem kompliziert. Deshalb müssen die zum Sexbaukasten der neunziger Jahre gehörigen Beziehungen auch ständig neu geordnet werden. In Kristine Petersons „Slaves to the Underground“ wacht Shelly (Molly Gross) neben ihrer lesbischen Bandkollegin Suzy (Marisa Ryan) auf und denkt beim Sex noch immer gerne an ihren verflossenen Liebhaber Jimmy (Jason Bortz). Verlassen hat sie ihn allerdings wegen Dale (Peter Szumlas), weil er Shelly mit Gewalt rumgekriegt hat.

Das Reizthema vom sexuellen Mißbrauch geht in Petersons Riot- Girl-Story relativ schnell mit ein paar festen Tritten und einem gebrochenen Nasenbein über die Bühne. Denn dies ist schließlich Seattle, und dort spielt sich das Leben eher wie in einem Nirvana-, Pearl-Jam- oder Hole-Song ab, jedenfalls sehr direkt und mit vielerlei Brüchen. Alles passiert zwar nur aus Liebe, aber die driftet ebenso rasch ab wie die hübschen Lieder, mit denen der Film das verwirrende Spektrum jugendlicher Begierden abdeckt.

Dabei hat Petersons Film sich nicht mal an irgendeiner Zielgruppe orientiert. Eigentlich erzählt „Slaves to the Underground“ die übliche Grunge-Geschichte: Ein paar pausbackige Jungs verkaufen ihre schmuddeligen Comic-Fanzines, eine Mädchengruppe will mit feministischem Trashrock in die Charts.

Nebenher entwickelt sich eine Liebesgeschichte, in der die Gefühle alle paar Minuten durcheinandergeraten: Sängerin Suzy träumt von keltischen Göttinnen und möchte doch bloß für die Frauenbewegung kämpfen; Jimmy trauert seiner Idee vom Indie-Mythos nach und läßt sich trotzdem auf einen Job bei Microsoft ein. Und Shelly will einfach nur Songs schreiben wie Ann Di Franco.

Daß die offenbar an Judith Butler wie Peter Bagges Comic-Heftchen geschulte Filmemacherin (sie hat bisher hauptsächlich Action-, Abenteuer- und Horrorfilme gedreht, darunter die Roger-Corman- Produktion „Body-Chemistry“) all diese kleinen Gesinnungen nebeneinander bestehen läßt, macht „Slaves to the Underground“ zu einer absolut unverdrossenen Studie über jene Generation X, von der ohnehin niemand so recht weiß, wer sie tatsächlich verkörpern soll. Harald Fricke

„Slaves to the Underground“, Regie: Kristine Peterson, mit Molly Gross u. a., USA 1996, Min., Xenon, Termine siehe cinema-taz