Abi und Bac im Doppelpack

■ 1986 vereinbart, breitet sich das deutsch-französische Abitur aus. Immer mehr SchülerInnen wollen Hochschulreife zugleich für beide Staaten erwerben. Baccalauréat hat höheres Ansehen

Berlin (taz) – Vor der Prüfung hatte Julie schon mächtig Bammel. Was würden sie fragen, die achtköpfige Kommission und der französische inspecteur? Doch als es soweit war, plauderte sie locker über Marcel Proust oder die germanophile Madame de Staäl. Der Streß hat sich gelohnt. Jetzt hat die Neunzehnjährige nicht nur das deutsche Abitur, sondern auch das französische: das Baccalauréat.

Julie ist eine von zehn SchülerInnen, die Ende des Schuljahres an der Berliner Rückert-Oberschule ihr „Abi-Bac“ gemacht haben. Was in Berlin Premiere feierte, hat bundesweit bereits Tradition. Seit 1987 können Schüler in einigen bilingualen Gymnasien in Deutschland in einem Aufwasch mit dem Abitur die international renommierte französische Hochschulreife erwerben. An Partnerschulen im Nachbarland brüten derweil Franzosen über dem Abitur. Das Modell, am Friedrich- Ebert-Gymnasium in Bonn zunächst erdacht und erprobt, wird mittlerweile an je neun Schulen in Deutschland und Frankreich angeboten.

Das Modell ist einfach. Nur SchülerInnen, die den bilingualen Zweig besuchen, steht der Weg zum Doppelabi offen. Das heißt: Ab Klasse fünf pauken sie intensiv Französisch, ab Klasse sieben läuft auch der normale Unterricht zweier Fächern in der Fremdsprache – meist Geschichte, Erdkunde oder Politische Weltkunde. Die Inhalte orientieren sich ebenso an den französischen wie an den deutschen Lehrplänen, die Prüfungsordnung wurde in bilateralen Abkommen festgezurrt.

Klausuren werden in Frankreich zensiert

Wer das Bac machen möchte, wählt in der Oberstufe Französisch-Leistungskurs und belegt ein weiteres Fach in Französisch. Diese Abiturklausuren gehen in Kopie nach Frankreich, wo die französischen Prüfer die Arbeiten für das Bac auswerten. Allerdings: Pflicht ist zusätzlich eine mündliche Prüfung vor einer französisch- deutschen Kommission.

„Zum Glück haben wir das vorher im Unterricht geübt“, sagt Julie von der Rückert-Oberschule. Mit Erfolg. Durchgekommen sind alle. Einige sogar mit mention bien oder très bien – in Frankreich sehr seltene Noten. „Die französischen Prüfer erwarten mehr enzyklopädisches Wissen und bewerten strenger. Aber der Prüfungsstil war sehr angenehm“, sagt Wolf- Rüdiger Kittel, der das Projekt an der Rückert-Schule leitet.

Das Modell könnte richtungsweisend für die bildungspolitische Annäherung Europas sein. Denn wenn es auch in Europa längst keine Grenzen mehr gibt, in punkto bildungspolitischer Einigung hakt es noch. Zwar ist die Gleichwertigkeit der nationalen Hochschulzugangsberechtigungen in der europäischen Konvention verankert. Doch im konkreten Fall gibt es nach wie vor Probleme. Das Abi-Bac, beschlossen auf dem deutsch-französischen Kulturgipfel 1986, geht da einen neuen Weg: Mit dem Modell werden zwei nationale Bildungsgänge erstmals richtig integriert.

Das Abi-Bac ist begehrt. Bundesweit haben bereits einige hundert Schüler beide Abschlüsse gemacht. In Berlin war es dennoch nicht leicht, das Modell durchzusetzen. Denn dort haftet dem französischen Zweig ohnehin ein elitärer Makel an, klagen die Lehrer der Rückert-Schule. „Die von der Schulverwaltung denken immer noch, wir wollten hier kleine Sonnengötter erziehen“, ärgert sich ein Tutor.

Dabei lohnt es sich, den französisch-deutschen Bildungsgang zu wählen – nicht nur wegen der Sprachkenntnisse. Wer das Bac in der Tasche hat, muß in Frankreich keine Spracheingangsprüfungen machen und fällt an der Hochschule nicht mehr unter eine Ausländerquote. Er kann im Nachbarland Fächer studieren, für die der Notendurchschnitt in Deutschland nicht reichen würde. Oder er kann sich direkt für die Grandes Écoles bewerben, die begehrten Eliteschulen.

„Das Abitur gibt es in 16 verschiedenen Varianten, es ist international nicht besonders anerkannt. Das Bac dagegen ist eine in der ganzen Welt renommierte Prüfung“, schwärmt Projektleiter Wolf-Rüdiger Kittel. Auch Julie setzt weiter auf die deutsch-französische Bildung. Erstmal fängt sie in Berlin mit Betriebswirtschaft an. Nach dem Grundstudium will sie nach Paris. An eine École normale supérieure. Und da hat sie mit dem Abi-Bac hervorragende Voraussetzungen. Anja Dilk