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Im Namen des Stammtisches

■ Die designierte Justizministerin der SPD fordert Sonderermittlungen gegen Internet-Täter

Sexueller Mißbrauch von Kindern ist ein schwers Verbrechen, aber auch ein gutes Geschäft. Und wer mit Kinderpornographie Geld verdienen will, muß die Medien nutzen. Den Buchdruck zum Beispiel oder die Videotechnik. Auch das Internet kommt dafür in Frage, allerdings nicht zuerst, denn es hat seine Tücken. Nicht umsonst schwärmen seine Pioniere von seiner grenzenlosen Offenheit. Verbrechen werden nur ausnahmsweise am hellichten Tag und in aller Öffentlichkeit begangen. Nichts, aber auch gar nichts an den bisher bekannten Ermittlungsergebnissen der Polizei weist darauf hin, daß sich durch das Internet im Fall der Kinderschändung daran irgend etwas geändert hat. Kinderpornos werden im Internet so klammheimlich, an verschwiegenen Orten und an tote Briefkästen weitergereicht wie in der wirklichen Welt, in der die Verbrechen stattfinden. Davon könnte das Netz ohnehin nur ein Bild sein, aber es ist nicht einmal das.

Das weiß die Polizei sehr gut. Aber sie ist nicht gefragt, wenn es um Pornographie und Internet geht. Zu leicht lassen sich mit diesen Begriffen öffentliche Stimmungen schüren, und längst haben die Sozialdemokraten alle Hemmungen fallenlassen, wenn ein paar Wählerstimmen mehr locken. Herta Däubler-Gmelin zum Beispiel möchte in der nächsten Bundesregierung Justizministerin werden. Ein Karrieresprung zweifellos, und arg viel hat sich in ihrem Herzen aufgestaut. Am Wochenende hat sie es in einem Gespräch der Neuen Osnabrücker Zeitung ausgeschüttet. Rechtsextremismus, Frauenhandel, Bombenbau – und die Kinderpornographie.

Gewiß könnte die Polizei auch Herta Däubler-Gmelin darüber aufklären, was es mit diesen Verbrechen auf sich hat. Die Ermittler kennen Täter, Strukturen und Geschäftswege. Nicht viele, ein paar wenige aber schon, doch selbst das will die künftige Justizministerin nicht hören. Sie weiß, daß alle diese Scheußlichkeiten im Internet verbreitet werden. Sie weiß nicht, wie oder wo oder gar warum, sie weiß nur, daß es so ist. Deshalb will sie lauter neue Spezialtruppen einrichten, für jedes Verbrechen eine.

Wer vermutet, die Sondereinheiten sollten Täter in der realen Welt ermitteln, Kinderschänder zum Beispiel, hat nicht vestanden, warum Herta Däubler-Gmelin Justizministerin werden will. Sie will Täter im Internet fangen. „Internet-Täter“, wie sie der Zeitung gesagt hat. Mit den anderen Tätern befaßt sich die Polizei ja schon jetzt. Damit lassen sich keine Wähler mobilisieren. Mit dem Wort „Internet-Täter“ aber vielleicht schon.

Was nun ein Internet-Täter sein könnte, hat Herta Däubler-Gmelin nicht gesagt. Ein bloß virtueller Kinderschänder? Ein Provider, der nicht alle seine Chaträume und Newsgroups filzt? Was der Sozialdemokratin so schwer auf dem Herzen liegt, sind nicht solche Spitzfindigkeiten. Sie will, daß die Internet-Täter vor Gericht gestellt werden, wenn sie in Deutschland wohnen. Wenn nicht, sollen sich die EU und die ganze Welt darum kümmern, zumindest müsse das „Vorgehen der Ermittlungsbehörden koordiniert werden“.

Welches Vorgehen? Nichts Genaues weiß man nicht. Vielleicht ist es nur dummes Geschwätz. Wäre es mehr, ständen noch ein paar Bürgerrechte mehr zur Disposition. Potentielle Internet-Täter sind wir nämlich alle, und Herta Däubler-Gmelins Sondereinheiten wären rund um die Uhr damit beschäftigt, unseren gesamten Datenverkehr zu überwachen. Nur so wäre ihr Ziel erreichbar.

Wer so redet, sollte nicht Justizministerin werden, jedenfalls nicht in einem liberalen Rechtsstaat. Weder die Androhung der digitalen Totalüberwachung noch auch das bloße Geschwätz ist mit dem Wahlkampf entschuldbar, schon gar nicht im Namen zu Tode gequälter Kinder, verschleppter Frauen und all der anderen Opfer der genannten Verbrechen. Denn beides zielt allein auf den Beifall der Stammtische. Und nichts ist schäbiger als die selbstbewußt zur Schau gestellte moralische Empörung, die in Wirklichkeit ausgerechnet darauf schielt. Am Stammtisch ist wahrlich noch nie ein Verbrechen aufgeklärt oder gar verhütet worden. Dort vielmehr keimen die mörderischen Phantasien der Täter, im Mief von Halbwahrheiten und sexuell aufgeladenen Vorurteilen Frustrierter. Und allein dort mag es inzwischen auch imaginäre Internet-Täter geben, die niemand kennen muß, weil sie am Stammtisch längst verurteilt sind. „Rübe ab!“ heißt das dort. Schwer zu sagen, was schlimmer ist: die Hoffnung, auch von diesem Ungeist noch zu profitieren, oder der Versuch, die eigenen Wähler mit voller Absicht dumm zu halten. Niklaus Hablützel

niklaus@taz.de

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