■ Daumenkino: Engel sind prima Gerüstbauer
Großvatergefühle beschlichen Wim Wenders nach eigener Aussage beim Betrachten des Remakes seines Films „Der Himmel über Berlin“. „Wunderbar gemacht“ sei „Stadt der Engel“, so Großpapa Wenders, dem, seit er die Engel über Mauer-Berlin schweben ließ, nicht mehr allzuviel gelang. Und eigentlich waren Otto Sanders Engelsgedankenlesungen – Copyright: Peter Handke – bei seinen Menschenspots von Ku'damm-Dächern ja sowieso der Anfang des Tiefgangs ohne Seegang.
Einem Remake also hätte ein Tick Oberflächlichkeit oder gar Ironie gutgetan. „Stadt der Engel“ aber hält sich in Sequenzen fast stoisch an die Vorlage – wenn bei Wenders die Stadtautobahn am ICC überflogen wird, fliegt man in Los Angeles eben am Freeway empor. Sogar eine Art Staatsbibliothek hat man in L.A. gefunden. Auch hier wird gedacht und gegrummelt – fast so doll & philosophisch wie in der Stabi bei uns daheim.
Regisseur Brad Silberling aber wollte (eigentlich) keine Parodie auf Wenders. Er wollte Engel, Menschen, Engel, die Menschen werden, und Menschen, die Engel sind. Logo, daß er die Herzchirurgin Dr. Maggie Rice (Meg Ryan) engelsgleich um Menschenleben kämpfen läßt. Und daß Engel Nicolas Cage leider als Sensenmann in Aktion treten muß, weil dies dumme, kleine, kranke Menschenherz nicht weiter schlagen will.
Meg Ryan betrübt das sehr, und das macht sie sehr, sehr hübsch. Cage, alias Seth, taucht nun immer wieder in ihrem OP auf und versucht, weiteren Engelsnachwuchs zu verhindern, muß aber trotzdem immer wieder mal ein Kind aus dem Krankenhaus gen Himmel (?) führen. Wie bei Wenders entdeckt Engel Seth qua irdischer Liebe die Nachteile des Engelslebens. Die Ärztin schneidet ihn, mißtrauisch geworden durch seine Omnipräsenz, beim Rendezvous in ihrer Küche mit dem Brotmesser. Und? Er blutet nicht. Das ist zuviel für Maggie – und sie wird noch hübscher.
Wer keinen Schmerz spürt, der wird wohl auch beim Sex nicht viel mitbekommen. Also: Mensch werden. Seth' Kollege zählt ihm die Nachteile auf: nie mehr morgens mit den andern Engeln am Strand rumhängen, keine Einsätze mehr am Airport und auf Highwayschildern. Die Vorteile des real life & sex mit Maggie aber sind dann doch überzeugender. Seth lernt einen anderen Ex-Engel im Krankenhaus kennen, und der weiß einen Job für Überflieger wie ihn: Wolkenkratzerkonstrukteur. Nichts steht nun dem irdischen Dasein mit Echtgefühlen mehr entgegen: Verleiher Warner Bros. bittet alle Journalisten inständig, das Ende nicht zu verraten. Es hat etwas mit Rennrädern zu tun. Andreas Becker
„Stadt der Engel“, Regie: Brad Silberling, mit Meg Ryan, Nicolas Cage u.a., USA 1998, 113 Min.
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