Die Macht der Fehler

Amerikas Medien diskutieren derzeit am liebsten über sich selbst. Nach Skandalen über falsche Recherchen glaubt kaum noch jemand den US-Journalisten  ■ Aus Washington Peter Tautfest

Eigentlich ist in Amerika der Gebrauchtwagenhändler der Inbegriff des Betrügers und Lügners. Doch nun hat er kommt Konkurrenz bekommen. Nicht vom Politiker, dessen Ansehen ist nach letzten Umfragen sogar leicht gestiegen. Die Journalisten sind die neuen Buhmänner. Deren Ansehen ist auf einen Tiefpunkt gesunken. „Ich glaube grundsätzlich nichts mehr, was in der Zeitung steht“, sagt Lanese Jorgensen aus Arlington, Virginia, Justitiarin beim Telefonkonzern MCI. Über die Hälfte der US-Amerikaner halten es nach einer Newsweek- Umfrage inzwischen so wie sie.

Die Medien waren in den USA neben den Politikern schon immer die Prügelknaben der Nation. Doch so wie derzeit wurde die Diskussion um die Glaubwürdigkeit der Medien seit langem nicht geführt. Und es sind vor allem die Medien selbst, die die Medien geißeln. Auf ihren Seiten gehen Amerikas Top-Zeitungen derzeit in Sack und Asche. Blätter wie die New York Times, Washington Post, Newsweek oder Time, die sich weltweit selbst zu Vorbildern für unbestechliche Machtkontrolle gemacht haben, fragen auf einmal nicht mehr nach den Lügen der Politik, sondern danach, wie sehr man ihnen selbst noch glauben darf. Katerstimmung der Leitbilder.

Anlaß für die ganze Debatte sind mehrere spektakuläre Fälle fehlerhafter Berichterstattung von Zeitungen und Fernsehsendern. Angefangen mit übertriebenen Berichten über neue Krebsmedikamente in der New York Times bis zur sensationsgeilen Berichterstattung über die Skandale um Präsident Clinton. Im Juni dieses Jahres wurden mit Stephen Glass (New Republic) und Pat Smith (Boston Globe) zwei Starjournalisten gefeuert, weil ihnen nachgewiesen wurde, daß sie ihre Geschichten oder zumindest deren Gewährsleute frei erfunden hatten. Und der Journalist Steven Brill hielt sogar das Klima reif für eine neue Massenillustrierte, die nichts anderes tut, als die kleinen Ungenauigkeiten der Medien aufs Korn zu nehmen.

Letzte Woche veröffentlichte Verteidigungsminister William Cohen einen umfangreichen Bericht über den Einsatz des Nervengiftes Sarin im Vietnamkrieg: „Das tödliche Nervengas Sarin (CBU 15) hat die Bunker auf Okinawa während des ganzen Vietnamkriegs nie verlassen.“ Zu der Untersuchung hatte sich das Pentagon gedrängt gefühlt, weil das Magazin Time und der TV-Sender CNN Ende Mai behauptet hatten, US- Spezialeinheiten seien mit Giftgas gegen Deserteure in Laos vorgegangen. Time und CNN hatten die Geschichte schon Anfang Juli zurückgezogen, Autorin Oliver April gefeuert sowie den renommierten CNN-Journalisten Peter Arnett abgemahnt.

Das Pentagon war innerhalb von wenigen Tagen die zweite Regierungsbehörde, die sich genötigt sah, auf Anwürfe der Presse mit umfangreichen Untersuchungsberichten zu reagieren: Am 16. Juli legte die CIA den zweiten Teil eines Berichts vor, der sich mit dem Vorwurf auseinandersetzt, sie habe zugelassen, daß Drogendealer den schmutzigen Krieg gegen die Contras in Nicaragua aus Erlösen von Crack-Verkäufen in Los Angeles finanzierten. „Mit etwa einem Dutzend Rebellen aus Nicaragua setzte die CIA die Zusammenarbeit fort, auch nachdem auf sie der Verdacht gefallen war, sie handelten mit Drogen“, kritisierte der Bericht. Die Untersuchung will aber den Vorwurf Gary Webbs widerlegen, der im Sommer 1996 in einer Artikelserie im San José Mercury von einer „dunklen Allianz“ gesprochen hatte. Er hatte behauptet, die Crack-Epidemie sei mit Wissen der CIA in Los Angeles gestartet worden, um Gelder für die Contras zu beschaffen, und wurde deswegen letztes Jahr von seiner Zeitung entlassen.

Der dritte Fall endete ebenfalls mit einer Entlassung – und mit einer fast ganzseitigen Entschuldigung auf Seite 1 des Cincinnati Enquirer Ende Juni. 10 Millionen Dollar Wiedergutmachung versprach das Blatt für eine im Mai gestartete Serie, in der dem Bananenmulti Chiquita Bestechung, Betrug sowie der Einsatz in den USA verbotener Pestizide in Mittelamerika vorgeworfen wurden. Der Autor Mike Gallagher soll die Informationen für seine Serie von Anrufbeantwortern der Chiquita- Manager gestohlen haben.

Was ist los mit Amerikas Presse? Kriegt sie ihre Geschichten nicht mehr hieb- und stichfest auf die Reihe? Die meisten der Geschichten, die nun Anlaß für die große US-Mediendebatte waren, waren freilich nicht komplett falsch, sondern es waren einzelne Details unsauber recherchiert oder fehlerhaft.

Der Vorwurf, daß gegen Deserteure mit Giftgas vorgegangen worden sei, läßt sich zwar nicht belegen. In der Aufregung ging allerdings ganz unter, daß während des Vietnamkriegs Spezialeinheiten in der Tat einen Vernichtungskrieg gegen amerikanische Deserteure geführt haben: Die Armeeführung setzte Inhaftierte aus ihren Militärgefängnissen gegen die desertierten Soldaten ein, denen sie einen Straferlaß versprach. Das wurde von Autor Douglas Valentine bereits 1990 in dem Buch „Das Phoenix Programm“ dokumentiert.

Und der Journalist Gary Webb, der die CIA-Crack-Connection recherchierte, ist bisher kein Jota von seinen Behauptungen abgewichen – er hat seine Serie inzwischen zu einem Buch ausgeweitet. Schon 1989 hatte ein Senatsausschuß die Vorwürfe gegen die Reagan-Administration weitgehend bestätigt. Und im Januar 1997 untersuchte Peter Kornblum in der angesehenen Columbia Review of Journalism die Vorwürfe Webbs und kam zu dem Ergebnis, daß sein Fehler vor allem darin bestand, daß er einen feinen Unterschied verwischt habe: nämlich zwischen Drogenhändlern, die im CIA-Sold standen, und den CIA-Offizieren, die den Contra-Krieg leiteten, aber keinen direkten Kontakt zu den Drogendealern hatten. Der eigentliche Medienskandal bestehe aber im völligen Schweigen der Presse zu den Vorwürfen der damaligen Kommission und dem einhelligen Aufschrei, mit dem die Presse über Webb herfiel.

Ähnlich verhält es sich auch in dem Chiquita-Fall. Die Vorwürfe des Rechercheurs Mike Galagher sind inhaltlich bislang keineswegs widerlegt. Und es drängt sich der Verdacht auf, daß Carl H. Lindner, der Chiquita-Mehrheitseigner, dem bis vor kurzem der Cincinnati Enquirer gehörte, Druck auf die Zeitung ausübte, um eine unliebsame Geschichte zu unterdrücken.

Der Medienskandal könnte so eher der Skandal der Macht sein, die die Medien knebeln will und dabei deren Nachlässigkeiten zu nutzen versteht. Dabei sind die Berichterstattungsstandards nirgends so hoch wie im US-Journalismus: „Wenn deine Mutter sagt, sie liebt dich, was macht der gute Journalist?“ lautet eine Scherzfrage unter US-Journalisten, „Check it out!“ (Nachprüfen!) Letzte Woche veröffentlichte die New York Times (NYT) eine zweiteilige Serie über den Exilkubaner Luis Posada, der, von der CIA ausgebildet, Bombenanschläge auf kubanische Einrichtungen organisiert hatte und dafür Geld von einer regierungsnahen Stiftung erhalten habe. Wie nicht anders zu erwarten, kündigte diese – sowie Canosas Sohn – eine Klage gegen die NYT an, die ihrerseits ihre Arbeitsweise aufdeckte: Der Artikel basiere auf 100 unterschiedlichen und voneinander unabhängigen Quellen, zwei Journalisten hätten Luis Posada 13 Stunden lang interviewt und hätten ein Dutzend, Historiker, Anwälte und Rechercheure zu Rate gezogen. Der Aufwand, der betrieben wird, um Geschichten hieb- und stichfest zu recherchieren und gegen Klagen abzusichern, ist immens geworden und kann von kleinen Blättern kaum noch aufgebracht werden.

Die gegenwärtige Debatte führt somit eher dazu, daß die Journalisten übervorsichtig und zaghaft gegenüber Politikern oder Konzernen werden. Denen kann nichts Besseres passieren, als daß sich alle investigative Macht der Medien gegen sich selbst richtet.