Scheinen, zensieren etc.
: Marsch gegen die Institutionen

■ Warum der Siemens-Vorstand einen Künstler in Münster ausschließen ließ

Die Firma Siemens fördert Kunst. Dafür hat der beim Konzern angestellte Kurator Dirk Luckow zusammen mit Heinz Liesbrock vom Westfälischen Kunstverein in Münster eine Ausstellung eingerichtet, die das kritische Potential der Malerei der neunziger Jahre zeigen soll. Zugleich möchte man mit dieser „Initiative des Siemens- Kulturprogramms“ auch das eigene Engagement in Sachen Sponsoring als positives Leitbild vermitteln. Eine Wendung, mit der Künstler naturgemäß nicht einverstanden sein können – schließlich soll ihre Arbeit nicht im Werbegag verpuffen.

Entsprechend harsch fiel der Beitrag von Dierk Schmidt aus: Als Installation wollte er ein Selbstporträt mit dem Bildnis des Siemens-Vorstands von Pierer kombinieren, der in einem Waldstück an einen Baum gefesselt erscheint. Daneben stehen Sätze zur Kritik am Sponsoring und Statements zur Firmenideologie. Die verknappten Formulierungen geben dem Szenario einen zusätzlichen Touch von Schärfe in der Art einer Verhörsituation. Das Gemälde trägt dennoch surreale Züge, die Bäume entpuppen sich als Bilanzkurven, und der Kopf des Unternehmers ist auf den Körper eines technojugendlichen Joggers montiert. Aus dem Werbe- wurde ein Politgag, der auch etwas über die Hilflosigkeit besagt, Kritik in einem so überaus frei interpretierbaren Medium wie der Malerei auszutragen.

Luckow/Liesbrock war der symbolische Anschlag auf den Geldgeber indes entschieden zu viel. Sie lehnten den Entwurf von Schmidt ab, weil er bei ihnen den „Verdacht einer Sympathie für kriminelle oder gar terroristische Gewalt“ hegte, auch von „RAF-Ästhetik“ soll die Rede gewesen sein. Schmidt zog seine Bilder zurück und spricht seitdem von Zensur. Natürlich hat er Recht, schon weil der Öffentlichkeit, die mit jeder Ausstellung im Rahmen eines Kunstvereins angesprochen ist, gar keine Möglichkeit gegeben wurde, sich mit der Arbeit auseinanderzusetzen. Das Argument, man hätte den Vorstand vor der Kunst schützen müssen, zählt nicht. Wenn es sich bei „Enter the dragon“ tatsächlich um einen konkreten Angriff auf von Pierer handelt, hätte durch die Reaktion der Besucher die Kritik auf Schmidt zurückfallen können. Schließlich ist es in erster Linie der Künstler, der sich für seine Arbeit verantworten muß, soviel Vertrauen in eine zeitgemäße Form der Diskussion müßte selbst der Kurator des Siemens-Kulturprogramms aufbringen.

Daß Luckow uneinsichtig geblieben ist, liegt wiederum auch an der verbissenen Haltung von Schmidt. Schon zu Beginn hatte er es mit seinem Beitrag darauf abgesehen, dem vermeintlichen Imagetransfer mit Imageschädigung zu begegnen. In gleicher Weise war der Künstler 1997 bei der Organisation der „Messe 2 OK“ mit Siemens als Fast-Sponsor der Politveranstaltung in Berlin aneinandergeraten. Immerhin sagt Schmidt selbst, daß „beide Kuratoren von Anfang an hätten wissen müssen, auf wen sie sich da einlassen“. Vielleicht ist es ihr Fehler gewesen, mehr auf die Kunst und weniger auf den Kontext geachtet zu haben. Andererseits wirkt es ein bißchen schal, wenn der Künstler sich beim Marsch gegen die Institutionen lediglich auf bildnerische Draufhau-Effekte verlassen kann. Siemens wird also weiterhin Kunst fördern und der Maler sich seinen Teil dazu malen. Harald Fricke