: Oranier-Flugnager und königstreuer Rhododendron Von Ralf Sotscheck
Manche tierischen Eigenarten sind universell. So gleichen sich Hunde im Verhalten und im Aussehen oft ihren Herrchen an. Oder umgekehrt. Unser alter Nachbar hat einen alten Hund geerbt, der einen, wie ich dachte, unnachahmlichen Watschelgang hat. Drei Wochen nach Antritt der Erbschaft watschelte der Nachbar genauso. Auch Katzen ahmen ihre Besitzer nach: Unsere etwa setzt sich zum Pinkeln auf die Toilette, vergißt allerdings, danach zu spülen. Daß Tiere aber ganze Bevölkerungsgruppen imitieren, ist vermutlich eine irische Besonderheit.
Über die religiösen Gräben zwischen den Menschen in Irland ist viel berichtet worden. Strenge Katholiken und Protestanten setzen keinen Fuß in die Gotteshäuser der jeweils anderen Glaubensrichtung. Die irische Präsidentin Mary McAleese etwa wurde von ihrem Bischof schwer gerüffelt, weil sie in der protestantischen Dubliner Kathedrale die Kommunion zu sich genommen hatte. Sie habe sich dadurch als ungeeignet für das hohe Amt erwiesen, wetterte die Hierarchie. Und die protestantischen Oranier, die vor zwei Wochen ganz Nordirland im Namen der Menschenrechte und der bürgerlichen Freiheiten lahmgelegt und den Tod von drei Kindern verursacht hatten, werden automatisch aus dem Orden ausgestoßen, falls sie in Rufnähe einer katholischen Kirche – der bei ihnen „Tempel des Antichristen“ heißt – geraten.
Daß aber bei irischen Fledermäusen dieselben Trennlinien herrschen, ist bisher wenig beachtet worden. Sowohl Langohr-Fledermäuse, als auch Natterer-Fledermäuse sind fleißige Kirchgänger. Die einen besuchen aber nur katholische Kirchen, die anderen dagegen ausschließlich protestantische Gotteshäuser, so hat eine landesweite Untersuchung ergeben. Kate McAney, Irlands einzige Chiroptologin – so heißen Fledermausexpertinnen –, hat die geflügelten Nager seit 1985 studiert. Dabei hat sie festgestellt, daß die Langohren sich gerne ins Holz verkrallen, das in katholischen Kirchen als Zwischendecke eingezogen ist, während die Natterer die offene Bauweise bei den Protestanten bevorzugen, so die verharmlosende Erklärung.
Um Fledermäuse ranken sich allerlei Mythen. Sie kommen sich jedoch, anders als die Menschen, trotz unterschiedlichen Glaubens nicht ins Gehege, so schien es. Aber waren es womöglich gar keine protestantischen Loyalisten, die im Mai zehn katholische Kirchen niedergebrannt haben, sondern nagende Natterer? Bekannt hat sich niemand zu der Tat, weder Mensch noch Tier. Über die Herkunft der Natterer ist wenig bekannt. Möglicherweise sind sie 1690 mit den Armeen Wilhelms von Oranien über die irische See gekommen, um die irische Fauna zu kolonisieren. Auch der Rhododendron, jenes bisweilen orange (!) blühende Unkraut, das weite Teile Irlands erobert hat, ist ja keine einheimische Pflanze. Das Wort „Plantation“, das die Ansiedlung königstreuer englischer Protestanten in Irland beschreibt, geht schließlich auf Pflanzen, englisch „plants“, zurück. Muß der anglo- irischen Geschichte ein neues, biologisches Kapitel angefügt werden?
Es gibt aber einen Lichtblick: Von den Langohr-Fledermäusen gibt es ganz viele, während die Natterer vom Aussterben bedroht sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen