■ Geißel der Menschheit: Technisch unausgereifte Kleidungsstücke
: Vom Geheimwissen ausgeschlossen

Das Schlimmste an der Pubertät war wohl weniger die eigene Orientierungs- und Planlosigkeit, sondern viel mehr die Tatsache, daß viele der Mitpubertierenden, besonders diejenigen, die immer als Vorbild herausgestellt wurden, ganz unbedingt zu wissen schienen, was sie taten und wollten.

Das konnte nur einen einzigen Grund haben, wie auch die beste Freundin fand: Die anderen verfügten über Geheimwissen, das eigentlich von Generation zu Generation weitergegeben wird, was jedoch von unseren schusseligen Eltern, die zwar die Sache mit der Aufklärung hinbekommen hatten, einfach vergessen worden war.

Die BH-Artenvielfalt ist erschreckend

Das war ein ziemlich ekliges Gefühl, aber nach einigen Jahren auch zu Ende, als man feststellte, daß die damaligen Streber wohl doch nicht so voller Pläne waren, wie man gedacht hatte. Nur hin und wieder ist dieses Gefühl wieder da, und meistens dann, wenn man gerade dabei ist, einen BH zu kaufen. Denn das BH-Genre umfaßt weit mehr als nett aussehende, bedruckte, bestickte oder mit Spitzen versehene Stoffetzen mit Trägern und Verschluß dran (damals, in der Pubertät, war dieser Verschluß allerdings auch schon ein Problem gewesen, denn zum Geheimwissen-Weitergeben gehörte wohl ganz unbedingt auch die Unterweisung darin, wie man den damals noch zwingend vorgeschriebenen Büstenhalter so anzieht, daß er nicht verknuddelt) – es ist von einer erschreckend rasch zunehmenden Artenvielfalt. Da gibt es Push-ups und Wonderbras und trägerlose, körbchenverstärkte, für den Sport geeignete und ausgepolsterte BHs, und alle hängen sie durcheinander an Bügeln und verwirren die Käuferin. Manchmal nimmt jedoch eine Art überhand und verdrängt all die anderen, und dann hat man ein riesiges Problem: Bügel-BHs.

Ein Bügel-BH liegt dann vor, wenn irgend jemand in einen eigentlich sehr nett aussehenden BH eine gebogene Metallstange hineingesteckt hat, zu einem Zweck, der nicht zu verstehen ist. Denn diese Stange ist grundsätzlich immer zu groß oder zu klein, so daß das Kleidungsstück niemals paßt, sondern immer entweder kneift oder labbert – falls es jedoch durch einen puren Zufall, etwa weil der Stangeneinbauer seinen eigentlichen Auftrag, einen garantiert unpassenden BH zu kreieren, vergessen hat, dann kann man sicher sein, daß die Näher ihre Order gewissenhaft erfüllten. Dann machen zum Beispiel schiefe Nähte den Büstenhalter zu einem Folterinstrument oder harte Plastikfäden scheuern weiche Haut durch, bohren sich spitze Verschlußhaken mit Vorliebe dann in den Rücken, wenn man am wenigsten darauf vorbereitet ist, oder reißen Träger exakt in dem Moment, wenn man gerade jemanden sehr beeindrucken möchte.

Wahrscheinlich gibt es ein Bügel-BH-Codewort

Aber vielleicht gibt es ja einen speziellen Bügel-BH-Trick, den man nur kennen muß, und schon wird aus einem eigentlich völlig sinnlosen Modell ein wunderbar passendes, angenehm zu tragendes und den Busen optimal zur Geltung bringendes Kleidungsstück. Dieser Trick könnte aus einem Codewort bestehen, das man beim Bezahlen an der Kasse sagen muß, und das bewirkt, daß die Verkäuferin zwinkert und unter dem Ladentisch eine Traumkreation hervorholt, während sie gleichzeitig lächelnd die Bügel-BH-Attrappe beiseite legt. Vielleicht sind Bügel-BHs jedoch auch nur technisch völlig ausgereifte Apparate, die von Unwissenden nicht zu bedienen sind. Um sie zu richtigen Büstenhaltern zu machen, muß man vielleicht die Verschlußhaken in einer bestimmten Reihenfolge berühren oder die Bügel mit einer chemischen Substanz in Verbindung bringen.

Oder diese Kleidungsstücke sind wirklich einfach nur das, was sie zu sein scheinen: völlig unsinnig. Dafür spricht, daß nur in den wenigsten Bügel-BHs ein Herstellernachweis zu finden ist. Wahrscheinlich hat die Zunft doch noch einen Rest Schamgefühl. Elke Wittich