"Goethe ins Meer gekippt"

■ Der Berliner Künstler Wolfgang Müller hat auf Island das abgewickelte Goethe-Institut neugegründet. Ein Gespräch über deutsche Arroganz beim Kulturaustausch, märchenhafte Werbeschluchten und die Freuden der Verwa

Sie werden am Freitag im Reykjaviker Living Art Museum das isländische Goethe-Institut wiedereröffnen, das im März geschlossen wurde. Müssen Künstler jetzt auch die Verwaltung erledigen?

Wolfgang Müller: Nicht unbedingt. Ich bin im wöchentlichen Wechsel mit der Isländerin Ásta Ólafsdóttir Direktor des neuen Instituts. Wenn Ásta verwaltet, kann ich Kunst machen und umgekehrt. Der deutsche Staat hat ja sein Interesse an einem Goethe-Institut in Island abgemeldet, weil das Land offenbar zu klein ist und die Isländer den Deutschen gegenüber ohnehin gutwillig eingestellt sind. Man brauchte also keine Angst haben, sich dort unbeliebt zu machen. Island ist jetzt neben Albanien das einzige europäische Land ohne Goethe-Institut.

Warum wurde die Außenstelle überhaupt geschlossen?

Aus sogenannten betriebswirtschaftlichen Gründen. Weltweit wurden einige Zweigstellen geschlossen, in Island traf es jedoch das einzige Institut.

Gab es Proteste der Isländer?

Ja, sie haben eine Goethe-Büste ans Meer getragen und dann hineingekippt – zu Grabe getragen sozusagen.

Dann muß die Enttäuschung ziemlich groß gewesen sein?

Man war eher baff. Die Isländer können immer noch nicht glauben, daß der deutsche Staat so verarmt ist, daß er sich die 350.000 Mark, die das Institut im Jahr kostete, nicht mehr leisten kann. 130.000 Mark flossen durch die ständig ausgebuchten Deutsch-Sprachkurse sowieso wieder in die Institutskasse zurück. Über 70 Prozent der Isländer in weiterbildenden Schulen lernen neben Dänisch und Englisch die deutsche Sprache.

Woher kommt diese Vorliebe? Sind es wirtschaftliche oder kulturelle Verbindungen?

Es gab schon immer ein großes Interesse – in beiden Richtungen. Die Brüder Grimm haben Teile der altisländischen Edda übersetzt und veröffentlicht. Und im letzten Jahrhundert haben viele Forscher nach Wurzeln der germanischen Kultur auf Island gesucht. Da die Christianisierung des Landes völlig unblutig verlief – es wurde einfach darüber abgestimmt –, hielten sich die alten heidnischen Mythen über Elfen, Zwerge und Feen bis heute. Sie werden genauso ernst genommen wie die Unbefleckte Empfängnis oder Christi Himmelfahrt, zuweilen sogar noch etwas ernster. Die Nähe zum alten Mythos ist noch gegeben, so wie sich ja auch dort die Erde gelegentlich bewegt und Feuer spuckt. Nichts ist fest und ewig.

In den letzten Jahren war Island ein Ort für diverse Künstlerabenteuer. Der kürzlich verstorbene Dieter Roth hat dort das Living Art Museum eröffnet, die US- amerikanische Künstlerin Roni Horn hat eine Fotoserie über die Insel veröffentlicht, Sie selbst haben gerade das zweisprachig auf deutsch und isländisch veröffentlichte Buch „Blue Tit“ herausgebracht. Worin liegt die Faszination an Island?

Nan Goldin wollte für eine geplante gemeinsame Ausstellung die Blaumeisen fotografieren, die seit Jahren den Nistkasten an meinem Fenster anfliegen. Sie hat es nicht geschafft, weil sie zu nah am Fenster stand und sich ständig bewegte. Die Vögel ließen sich nicht blicken. Schließlich fragte sie: Wie heißt dieser Vogel, und wie sieht er überhaupt aus? Ich zeigte ihr eine Abbildung, unter der „blue tit“ stand. Nan bekam einen Lachanfall, natürlich wegen des Wortes „tit“. In den USA gibt es den Vogel überhaupt nicht, also kannte sie auch seinen Namen nicht. In einem englischen etymologischen Wörterbuch fanden wir dann als Herkunftsnachweis „gebildet aus dem altisländischen Wort tittr“.

1990 wurde ich nach Island zum Reykjaviker Art Festival eingeladen und begann über das Wort „tittr“ zu recherchieren. Es heißt Vögelchen, wird aber auch als Bezeichnung für den Penis gebraucht. Blaumeisen gibt es auch auf Island nicht. Na ja, für unsere gemeinsame Ausstellung „blue tit“ in Kassel und Berlin hat Nan dann Steiff- Blaumeisen in New York auf Porzellantellern fotografiert, und ich habe in Nordisland Meisen auf Elfensteine gravieren lassen. Ich war von Island übrigens sofort begeistert. Die Insel gehört geologisch nicht zu Europa und auch nicht zu Amerika. Es ist ein eigener Kontinent. Die Menschen sind sehr weltoffen, überhaupt nicht provinziell und leben doch zugleich weit weg in einer wunderbaren Eigenwilligkeit.

Liegt in der künstlerischen Beschäftigung nicht auch eine romantische Anziehungskraft, die von der kargen Landschaft ausgeht – Island als „Earth Art“ und Readymade in einem?

Sicher sieht die Landschaft wie ein Kunstwerk aus, ein unkritisierbares Kunstwerk – dadurch wirkt sie in den Fotobüchern und Reisemagazinen auch immer so furchtbar kitschig. Selbst mieseste Fotografen kommen hier zu beeindruckenden Ergebnissen. Wenn die Landschaftselemente dann noch uralte Namen aus der Zeit der Besiedlung um 900 n.Chr. tragen wie „Schwanensee“ – Álftavatn – und bis zur Spitze grün bemooste Berge Elfenburg, „Álfaborg“, heißen, dann befindet man sich inmitten einer magischen Märchenkulisse und wird Teil einer Handlung. Island ist ja selbst fast so etwas wie eine neue künstlerische Stilrichtung. In dieser unwirklichen Umgebung wird jedem Menschen klar, daß beispielsweise auch ein Transvestit ein Teil der Natur ist.

Mit der Schließung des Goethe- Instituts hat sich Deutschland sehr von Island abgeschottet. Kann man sich so etwas als Vorreiter des europäischen Gedankens überhaupt leisten?

Es zeigt jedenfalls eine Arroganz, die hierzulande Politik nur noch über Größe definiert. Das gilt auch für Kultur. Dann ist ein Land mit gerade einmal 250.000 Einwohnern unwichtig. Dieses Denken zeigt überall Konsequenzen: Auf einem Fußball mit aufgedrucktem Globus, der von einer Firma in Freilassing vertrieben wird, wurde Island vergessen; auch der Falk-Plan für die Insel ist völlig falsch beschriftet, zahlreiche Orte sind vertauscht oder vergessen worden. Und Falk denkt gar nicht an eine korrigierte Neuauflage, da, wie man mir auf Anfrage mitteilte, „der Abverkauf des Island-Plans sehr schleppend“ sei. Und selbst auf dem ersten Entwurf zu den Euro-Banknoten, den die Frankfurter Notenbank vorstellte, fehlte Island, obwohl neben dem 100er- Zeichen noch genügend Platz gewesen wäre. Der isländische Verein der EU-Freunde, namentlich deren Vorsitzender Adalsteinn Leifsson, hat aber durch massive Proteste schließlich erreicht, daß Island, wenn schon nicht auf den Münzen, so doch immerhin auf den Geldscheinen abgebildet sein wird.

Im Kunstbereich geht es in der Regel nicht um solche konkreten Maßnahmen. Hat Ihre Übernahme des Goethe-Instituts nicht auch Konzept-Charakter?

Nein, das ist eine durchaus pragmatische Angelegenheit. Es ist eine Unverschämtheit, wenn Politiker eines so reichen Landes wie Deutschland solche Entscheidungen treffen. Wenn der Staat an solchen Einrichtungen kein Interesse mehr zeigt, dann muß man eben – was ich eigentlich nicht gut finde – bedrohte Kulturbereiche privatisieren. Das haben Ásta Ólafsdóttir und ich nun gemacht. Wir sind die Leiter des neuen, privaten Goethe- Instituts auf Island. Praktischerweise haben wir sogar die gleiche Telefon- und Faxnummer wie das alte, Ende März geschlossene Goethe-Institut: (00354) 5516061. Die Nummern sind nämlich drei Monate nach der Abmeldung wieder frei verfügbar.

Dennoch ist Ihr Goethe-Institut Teil einer Ausstellung, die vom isländischen Staat finanziert wird. Wäre es nicht möglich gewesen, für diese Idee deutsche Sponsoren zu finden?

Sicher könnten deutsche Firmen von Island als Imageträger profitieren. Vor allem in der Fischerei ließe sich wunderbar Werbung mit Island machen. Aber auch ganz andere Firmen haben hier schon ihre Clips gedreht: Von Toyota gibt es einen Werbefilm, wo ein Auto durch die Allmännerschlucht jagt.

Ist die Neueröffnung des Goethe-Instituts angesichts einer solchen Interessenlage ein Stück politische Kunst oder nur ein Wink an die Kulturpolitik?

An dieser Art von Politik bin ich gar nicht so sehr interessiert. Mehr an praktischen Ergebnissen. Wir haben bereits für unsere Goethe- Institut-Bibliothek einige Bücher geschenkt bekommen. Außerdem hat sich eine Frau auf unser Inserat in der Tageszeitung dagurbladid gemeldet und alte Möbel vorbeigebracht. Gerne können auch taz-Leser Bücher und Bilder senden. Aus Deutschland und Kanada haben wir Arbeiten von Künstlern gestiftet bekommen, die hier schon immer mal ausstellen wollten. Auch ein Mobile mit dem Titel „Incredible Women“ ist dabei: mit originalsignierten Autogrammkarten von Leni Riefenstahl, Cher Bono und der türkischen transsexuellen Sängerin Bülent Ersoy.

Das klingt nun eher ironisch und gar nicht nach Verwaltung.

Auf jeden Fall soll selbst die Verwaltungsarbeit des neuen Goethe-Instituts Freude machen. Und natürlich werden auch lustige oder ironische Kunstwerke gezeigt und diskutiert. Und da Kultur keine Einbahnstraße ist, planen wir im Gegenzug ein entsprechendes isländisches Kulturinstitut in Berlin. Wir sind gerade dabei zu überlegen, welche historische Persönlichkeit Namensgeber des Instituts sein wird. Interview: Harald Fricke