Zupacken, wegsperren

■ Mit ihrem Papier zur Inneren Sicherheit wird die SPD der CDU immer ähnlicher: Die Ausweisung straffälliger Ausländer, geschlossene Heime und Erwachsenenstrafrecht für junge Kriminelle fordert auch die Union.

Orientieren sich die Strategen der SPD an Michael Schumacher? Mit halsbrecherischen Manövern ohne Rücksicht auf Verluste versucht das Enfant terrible des deutschen Rennsports jede Schwäche des Gegners zu nutzen, um an die Spitze zu kommen. So führen auch die Sozialdemokraten ihren Bundestagswahlkampf. Kaum melden die Wahlforscher, die Siegeschancen von Helmut Kohl seien eher dürftig, geben sie noch mal Gas. Überholt wird rechts – wie mit dem „Positionspapier zur Inneren Sicherheit“.

Ach, wenn es doch so einfach wäre und die Knochen, die dabei gebrochen werden, ihre eigenen wären! Dem ist leider nicht so. Schärfere Gesetze und eine Polizei, die der Unsicherheit Herr werden soll – CDU und SPD suchen sich darin seit Jahren gegenseitig zu überbieten. Immer mehr von demselben ist in der Kriminalpolitik ein ausreichender Vorschlag. Daß die Untauglichkeit dieses Programms nahezu täglich unter Beweis gestellt wird, beeinträchtigt seine Attraktivität nicht.

Ein Blick in das SPD-Positionspapier bestätigt dies. Sonderliche Unterschiede zum Programm von 1994 sind nicht zu entdecken, im wesentlichen wurden die Aussagen lediglich fortgeschrieben. Dabei entsprachen die Kapitelüberschriften damals weitgehend denen des CDU-Parteitagsbeschlusses von 1993. Daraus hat man anscheinend gelernt und den Christdemokraten diesmal die Schau gestohlen. Nun werden es CDU/CSU sein, die sich den Vorwurf des „Abschreibens“ machen lassen müssen.

Gleichwohl wäre es zu einfach, das SPD-Programm damit abzutun. „Unabhängig von der tatsächlichen Lage prägt das subjektive Gefühl von Unsicherheit die Befindlichkeit der Menschen“, heißt es etwa in der Einführung. Als eine der Ursachen wird die „Art der Darstellung von Verbrechen in den elektronischen Medien“ entlarvt. Allerdings verschweigen die Verfasser des Papiers, daß die Politik einen entscheidenden Anteil an der Züchtung des Unsicherheitsgefühls hat.

Erinnert sei hier an die emotionalen Diskussionen um die Sexualmorde zu Beginn dieses Jahres. Wo waren die Sozialdemokraten, die etwas Ruhe in die Debatte gebracht und den Menschen erklärt hätten, daß die Zahl derartiger Verbrechen seit Jahren konstant ist und es sich eher um eine zufällige zeitliche Konzentration denn um eine Zunahme solcher Scheußlichkeiten handelte? Daß die SPD im Streit um die Errichtung einer DNA-Datei versagt hat, wird im Papier in progressiven Handlungsbedarf umdefiniert: Die „Normierung der DNA- Analytik für erkennungsdienstliche Maßnahmen ist ein erster Schritt, es müssen noch spezifische Datenspeicherungs- und Verarbeitungsbefugnisse geschaffen werden“. Das ist Kanther- Rhetorik. Die notwendige gesetzliche Regelung wird nicht einmal erwogen.

Ziemlich exakt vor einem Jahr hatte Gerhard Schröder auch gefordert: „Wer unser Gastrecht mißbraucht, für den gibt es nur eins: Raus, und zwar schnell.“ Spätestens mit ihrem neuen Sicherheitsprogramm ist die Forderung nach unverzüglicher Ausweisung aller straffällig gewordenen Nichtdeutschen nun offizielle SPD-Politik. „Aufenthaltsbeendende Maßnahmen“ sind „unverzüglich zu treffen“, „Strafverfolgung“ ist „zu intensivieren“, und Abschiebemöglichkeiten „müssen konsequent genutzt werden“. CDU-Innenminister werden es gern hören.

Hürden gefallen sind auch bei der Kinder- und Jugendpolitik. Daß für die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen der Kontakt mit Polizei und Justiz ein einmaliges Erlebnis bleibt, ist nebensächlich geworden. Eine Akzentverschiebung hin zu einer „Gleichgewichtigkeit zwischen Vorbeugung und Härte“ nennt Niedersachsens Innenminister Gerhard Glogowski den Ruf nach geschlossenen Heimen und Anwendung von Erwachsenenstrafrecht. In der Vergangenheit, so der Hardliner, seien Vorbeugung und Hilfe überbetont worden. Also eine klare Verabschiedung aus der bisherigen Jugend- und der Sozialpolitik.

Auch die SPD scheint sich in „Null Toleranz“ verguckt zu haben, jenes Schlag-drauf-und- Schluß-Programm aus New York, mit dem selbst Betteln, das Abspielen lauter Musik und Radfahren auf dem Bürgersteig unnachsichtig verfolgt werden. Wen interessieren schon soziale Ursachen, wenn man deren Folgen wegsperren kann? Kein ernstzunehmender Kriminologe hält etwas von diesem System, und in den USA geht man bereits weitgehend auf Abstand dazu. Für die SPD soll es dennoch reichen – zumindest bis zum Wahltermin.

Auch Bündnis 90/Die Grünen schwenken anscheinend auf eine Linie konservativer Sicherheits- und Ausländerpolitik ein. Für eine Rücknahme der Asylrechtsverschärfung von 1993, damals von ihnen heftig bekämpft, besteht heute nach Aussagen von Rezzo Schlauch und Cem Özdemir keine Notwendigkeit mehr. Man hat sich arrangiert.

Warum aber, so lautet die Frage, sollte jemand die Kopie wählen, wenn er auch das Original haben kann? Otto Diederichs