Die Welt war ein Olivenhain

■ Dichter wider Willen: Zum Tod des polnischen Lyrikers, Theaterautors und Essayisten Zbigniew Herbert. Mit seinem letzten Gedichtband hatte er Abschied von der Welt genommen

Ein Rebell war er nie. Und doch hat er Zeit seines Lebens Widerstand geleistet. Selbst seinem eigenen Ruhm stand er kritisch ironisch gegenüber. So wie der siebte Erzengel, der ganz unten in der himmlischen Hierarchie steht, wollte er sich gesehen wissen. Mit ramponiertem Heiligenschein, weil er zu viele Sünder ins Paradies gelassen habe, ohne all die schönen Requisiten eines Dichterfürsten oder Herrschers über Gut und Böse.

Die Gnade stand für ihn immer über dem gesetzten Recht und der anerkannten Tugend. In seinem letzten Gedichtband, der erst vor zwei Monaten in Krakau erschienen ist, hat der 73jährige Zbigniew Herbert Abschied von dieser Welt und seiner Geschichte genommen. Gestern ist er in den frühen Morgenstunden in Warschau gestorben. Über die Todesursache wurde zunächst nichts bekannt.

Der Zweite Weltkrieg wie auch die unmittelbar folgende Stalinzeit in Polen haben den „Dichter wider Willen“, wie Zbigniew Herbert sich selbst oft bezeichnete, geprägt. „Die Kommunisten haben verhindert, daß ich meine erlernten Berufe ausübe“, sagte er. Geboren wurde er am 29. Oktober 1924 in Lemberg in Ostpolen. Er war 15 Jahre alt, als die Rote Armee im September 1939 seine Heimatstadt besetzte. Knapp zwei Jahre später marschierte die deutsche Wehrmacht ein. Der Junge besucht ein geheimes Gymnasium, kämpft wie sein Vater in der Untergrundarmee. Nach dem Krieg studiert er Rechtswissenschaften, Ökonomie und Philosophie. Doch aus der angestrebten Universitätskarriere wird nichts. Der junge Gelehrte ist für die polnischen Kommunisten politisch nicht tragbar.

Herbert verdingt sich als Bühnenarbeiter, schreibt erste Gedichte, veröffentlicht sie aber erst 1956 als bereits über 30jähriger. Das „Tauwetter“ in Polen hat die Zensur gelockert, und auch Ergebenheitsadressen an die Partei werden nicht mehr erwartet. Bereits mit dem ersten Gedichtband „Strunaswiatla“ (Lichtsaite) gelingt ihm der Durchbruch. In der Folge veröffentlicht er regelmäßig Gedichte, Hörspiele, Essays und Dramen. Mit der Gedichtsammlung „Herr Cogito“ schafft er eine Gestalt, die zum Inbegriff eines sich gegen Unterdrückung auflehnenden Menschen wird. Zugleich wird sie zu seinem Alter ego, das immer wieder in seinem Gedichten auftaucht. Wie er reist auch Herr Cogito durch ferne Länder und Zeiten, ohne Ruhe zu finden.

In den Gedichten über die weite Welt spiegeln sich die Verhältnisse in Polen wider. Und im Angesicht dieser Welt scheint die Selbstbestimmung des Menschen, wie sie sich der Philosoph Descartes gedacht hatte – „cogito, ergo sum“ – eine einzige große Illusion zu sein. Im Gedicht „Herr Cogito betrachtet im Spiegel sein Gesicht“ vergleicht Herbert sein eigenes Gesicht mit dem eines Wunschbildes. Nach kritischer Prüfung gelangt er zu dem Fazit: „So habe ich das Turnier mit meinem Gesicht verloren.“

1970 erhält Herbert eine Professur in den USA. Erst 1981 kehrte er nach Polen zurück und wird, als General Jaruzelski über Polen das Kriegsrecht verhängt, zu einer Galionsfigur der Opposition und zum „Wächter der Grundwerte“, wie ihn Adam Michnik, einer der führenden Regimekritiker Polens, einmal genannt hat. Aus Protest gegen die Verhängung des Kriegsrechts veröffentlichte Herbert bis zur Wende 1989 ausschließlich in Untergrundverlagen und im Ausland. In Deutschland erschien sein erster Gedichtband 1964; „Herr Cogito“ 1974. Es dauerte lange, bis Herbert seine „psychische Blockade“ gegen die deutsche Sprache überwand, die er in der Erinnerung an die deutschen Besatzer empfand. Bis in die sechziger Jahre hinein war es ihm nicht möglich, seine Gedichte auf deutsch vorzulesen.

In seinem letzten Gedichtband, der einfach nur den Titel „79 Gedichte“ trägt, nimmt Herr Cogito Abschied von dieser Welt, die ein „Olivenhain war, in dem die Erde rot war vom Blut der gerade verscharrten Soldaten“. Er nimmt Abschied von Polen, das die Siegermächte nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Abfallhaufen der Geschichte degradiert hatten. Und er nimmt Abschied von den Reisen eines Odysseus, die immer nur zum nächsten Kiosk führte, um dort Milch und Zigaretten zu kaufen. Gabriele Lesser