Dreidimensional geplättet

■ Digitalisierte Welt: Armin Müller-Stahl erklärt "Taxandria" (23.40 Uhr, Arte)

Die meisten Animatoren träumen davon, endlich einmal über Zeit und Geld für eine Filmproduktion verfügen zu dürfen. Ein Wunsch, den jeder Animationsfilmfreund aus Eigennutz unterstützt – besonders aber dann, wenn ein verdienter Künstler wie der Surrealist Raoul Servais zum Zug kommt: Mit vier Jahren Entwicklungszeit zählt „Taxandria“, sein erster abendfüllender Realfilm, zu den bislang aufwendigsten und teuersten Produktionen Europas.

In der Animationskunst sind Surrealisten keine rare Spezies. Viele Filmemacher nutzen die Freiheit, ihre ganz und gar eigene Wirklichkeit zu schaffen, so weit wie möglich aus, und sie beschränken sich dabei nicht nur auf Drehorte, Charaktere und physikalische Gesetze. Die Extremisten unter ihnen heben nämlich auch gängige Erzählstrukturen auf, weshalb es meistens unmöglich ist, eine Inhaltsangabe zu einem surrealistischen Animationsfilm zu machen. Vorbildliche Vertreter dieser Richtung sind zum Beispiel der Prager Jan Svankmajer oder die in London ansässigen Brothers Quay, deren stop motion-Filme sich beim besten Willen nicht nacherzählen lassen – welche Stimmung sie beim Zuschauer bewirken, läßt sich jedoch beschreiben.

In den ersten Minuten scheint „Taxandria“ sich an diese Tradition anzulehnen: Ein junger Prinz und sein Hauslehrer finden sich unter falschen Namen auf einer kleinen, unwirklich grünen Insel ein; das Gelände um den Leuchtturm am Strand ist eine verbotene Zone; aus dem Nebel tauchen Flüchtlinge in Ruderbooten auf, die von den Inselbewohnern gejagt werden. Kurze Zeit später aber bietet nur noch die Ausstatttung ungewohnte Bilder – das Drehbuch hält sich streng an herkömmliche Erzählstrukturen. Wie zu erwarten, betritt der junge Prinz die verbotene Zone und freundet sich mit dem Inselaußenseiter an, dem Leuchtturmwärter, und, wie ebenfalls voraussehbar ist, reist der junge Prinz aus dem magischen Leuchtturm heraus in eine Parallelwelt, das Land Taxandria. Hier ist zwar nicht Momo unterwegs, die Zeit spielt aber trotzdem eine Rolle. Ganz Taxandria lebt nämlich in einer Zeitschlaufe, der ewigen Gegenwart. Weil Vergangenheit und Zukunft verboten sind, gibt es keine Bücher, keine Bilder und keine Erfindungen. Ergo: keine Kunst, keine Freiheit.

In Szene gesetzt ist dieses Taxandria sehr schön. Die Kulissen des belgischen Comiczeichners François Schuiten zeigen halbversunkene Kathedralen und himmelhohe taxandrische Neubauten mit handbetriebenen Fahrstühlen. Dazu kommen immer wieder Schuitens Favoriten ins Bild, Zahnräder: Die einzig erlaubte Technik in Taxandria ist die Mechanik. Die taxandrische Wirklichkeit, sorgfältig digital bearbeitet, tröstet jedoch nicht über die plakative Geschichte hinweg, die allzusehr Parabel sein will und wahrscheinlich auch noch lehrreich.

Raoul Servais habe mit diesem Film „übliche Klischees“ verlassen und schöpfe „allein aus seiner Vorstellungskraft“, meldet Arte in seiner Presseankündigung. Das klingt gar nicht gut. Servais' Vorstellungskraft jedenfalls, was den von Arte ebenfalls beschworenen „neuen Aspekt des europäischen Films“ angeht, beschränkt sich auf die erstaunliche Verknüpfung von Technik und Kitsch – eine Schöpfung aber ist etwas anderes. Carola Rönneburg