Kuba hält stoisch am Zucker-Sozialismus fest

■ Die Ernte wird so schlecht sein wie nie. Reformiert wird die Zuckerwirtschaft nicht

Berlin (taz) – Kubas Zuckerrohrernte meldet in diesem Jahr einen neuen Negativrekord. Unter 3,3 Millionen Tonnen Zucker sind zu erwarten, gab die Regierung in Havanna bekannt – weniger denn je. 3,3 Millionen statt jenen 8,4 Millionen, die man 1990 noch produzierte. Oder jenen knapp 6 Millionen Tonnen, die die Zuckerinsel Kuba in den fünfziger Jahren, vor der Revolution, produzierte. Da Zucker auch heute noch das wichtigste Exportprodukt ist, ist dies ein Absturz mit weitreichenden Folgen. Dennoch hat die schlechte diesjährige Ernte bislang kaum zu politischen Reaktionen geführt.

Ein Grund dafür ist, daß in diesem Jahr die Ernteschlacht erstmals unter dem Kommando eines Vier-Sterne-Generals geführt wurde. Denn nach der schlechten Ernte im Jahr zuvor hatte das Politbüro den Zucker-Minister gefeuert und durch den zweithöchsten Militär des Landes, General Ulises Rosales del Toro, ersetzt. Offiziell heißt es, man habe in diesem Jahr keine großen Erträge angestrebt, sondern eine „Ernte der Konsolidierung“. Man habe keinen Raubbau an zu jungem Zuckerrohr betrieben und für das nächste Jahr gesät. Außerdem war das Wetter schlecht.

Das stimmt vielfach auch. Nur ist das Ergebnis dennoch katastrophal. Die Zuckerwirtschaft ist Kubas reformfreie Zone. In anderen Bereichen kamen Joint-ventures mit Auslandskapital ins Land, werden Arbeitsanreize in Dollars gezahlt und wurde – wenn auch begrenzt – Marktwirtschaft zugelassen. Der Zucker aber ist der einzige Sektor, der heute noch so aussieht wie in den achtziger Jahren. Zwar nimmt Rußland noch immer den größten Teil des Zuckers und tauscht dagegen Erdöl. Allerdings sind die Preise nicht mehr subventioniert, sonder es wird zu Weltmarktpreisen gehandelt. Seitdem ist in Kuba Treibstoff Mangelware. Auch Maschinen und Düngemittel, Herbizide und Ersatzteile, die einst die sozialistischen Bruderstaaten lieferten, müssen heute für Devisen importiert werden.

Und wenn in den achtziger Jahren 200 oder 300 Pesos ein guter Monatslohn waren, sind dieselben 200 oder 300 Pesos, die die Zuckerrohrarbeiter heute verdienen, gerade noch 10 oder 15 US-Dollar wert. Die Arbeitsmoral ist entsprechend schlecht: Die Produktion fällt und reißt ein Loch in die Devisenbilanz Kubas. Spätestens dieser Dollarengpaß, so hatten Beobachter außer- und innerhalb Kubas angenommen, hätte die Regierung zu Reformen zwingen müssen. Doch die Regierung Castro hat mit der Legalisierung des US-Dollars eine Goldader entdeckt, die den Einnahmeausfall kompensiert und das Weiter-so in der Zuckerwirtschaft ermöglicht: die Geldsendungen der Kubaner in den USA an ihre Verwandten auf der Insel. Die Überweisungen aus Miami und anderswo sind mittlerweile die mit Abstand größte Devisenquelle, noch vor dem Tourismus oder dem Zucker oder anderen Exportprodukten. Politisch ergibt sich damit eine paradoxe Situation. Die emigrierten Kubaner galten der Revolutionsregierung lange Zeit als gusanos, als „konterrevolutionäre Würmer“. Gleichzeitig stellen ihre Dollars mehr und mehr das finanzielle Fundament des kubanischen Sozialismus dar. Doch Kubas Sozialismus ist auf Zucker gebaut. Seit der Revolution 1959 bis Anfang der Neunziger machte Zucker nie weniger als drei Viertel aller kubanischen Exporte aus. Zucker war nicht nur ein Wirtschaftszweig, sondern zementierte die Gesellschaftsordnung. Für 40 Prozent der Gemeinden ist Zucker die einzige relevante Wirtschaftsaktivität.

Wenn es dort Benzin, Zement, Bauholz oder Ersatzteile gibt, dann für die Zuckerproduktion. Wo der Staatshaushalt nichts mehr verteilen kann, verfügt der Direktor der Zuckermühle über mehr Ressourcen als die Gemeindeverwaltung oder der örtliche KP- Chef. Nach offiziellen Zahlen gehen bei den großen Zuckerbetrieben rund 25 Prozent der Einnahmen für „soziale Funktionen“ ab. Inoffiziell weiß man, daß in der Erntezeit auf den Schwarzmärkten der Benzinpreis fällt: das den Zuckermühlen zugewiesene Benzin geht zum Teil nicht in die Produktion, sondern in den Nebenerwerb.

Mit den Dollars aus Miami und aus dem Tourismus hat eine neue Ungleichheit Einzug gehalten. Doch der stoisch reformfreie Sozialismus der Zuckerwirtschaft ist die andere Seite. Er zementiert die Kluft zwischen Dollarsektoren und abgekoppelter Rest-Ökonomie. Solange sich hier nichts ändert, hat Kuba eine einzige Variable, um seine Zuckerproduktion konkurrenzfähig zu machen: die Niedriglöhne der Arbeiter. Bert Hoffmann