Sinti und Roma verklagen Bayern

■ Verfassungsbeschwerde wegen der Verwendung des Begriffs „Roma und Sinti“ in der kriminalpolizeilichen Kartei eingelegt. Der Freistaat Bayern will an der Praxis festhalten

Berlin (taz) – Der Zentralverband der Deutschen Sinti und Roma hat gestern beim bayerischen Verfassungsgericht in München Klage eingelegt. Dabei geht es um die weiterhin bestehende Sondererfassung in der kriminalpolizeilichen Kartei des Freistaates. Als einziges Bundesland hält Bayern bei erkennungsdienstlichen Maßnahmen an der Rubrik „Personentyp Sinti/Roma“ fest. Die Praxis der bayerischen Behörden, so heißt es in der Klageschrift, sei „verfassungswidrig, diskriminierend und geeignet, insbesondere in der Beamtenschaft der Polizei zu Ausgrenzung und Haß gegen die Minderheit beizutragen“.

Die Kriterien des Erfassungsvordrucks für die Polizei, der allgemein unter dem Kürzel KP 8 läuft, steht seit geraumer Zeit in der Kritik. Erst im vergangenen Herbst war sie von der Innenminister- Konferenz der Länder in Teilen abgeändert worden. Bis zur Erstellung eines neuen Vordrucks einigten sich die Minister darauf, die bisherige Einstufung „negroid“ durch „afrikanisch“ und „indianid“ durch „indianisch“ zu ersetzen und unter anderem Begriffe wie „vollbusig“, „flachbrüstig“ „schlesisch“ und „westpreußisch“ nicht mehr zu benutzen. Einzige Ausnahme war hingegen Bayern. In einer Protokollnotiz ließ der Freistaat festhalten, daß er eine Änderung „fachlich nicht für erforderlich“ halte. So können bayerische Polizisten nicht nur den Begriff „negroid“ weiterverwenden, sondern eben auch die Kategorie „Sinti/Roma“.

Bayerns Innenstaatssekretär Hermann Regensburger (CSU) verteidigte gestern den Fortbestand dieser Erfassungspraxis. Mit Hilfe der differenzierten Merkmale könne ein „potentieller Täterkreis aufgrund von Personenbeschreibungen durch Zeugen wesentlich eingegrenzt werden“. Die Kategorie „Zigeunertyp“ werde in Bayern aber nicht mehr verwendet. In Anbetracht der Verfolgungen, die die Sinti und Roma während der NS-Zeit erlitten, könne dies zu „Fehlinterpretationen“ führen, so Regensburger.

In der Verfassungsbeschwerde und Popularklage (nicht-institutionelle Klage, eine bayerische Besonderheit) verwies der Zentralverband der Sinti und Roma darauf, daß auch ein Austausch des Begriffs „Zigeuner“ durch „Sinti und Roma“ nichts an der Praxis der Behörden ändere. Die Stigmatisierung bleibe. Anders als die in der KP 8 benutzte Typologisierung „afrikanisch“ oder „asiatisch“ habe der „Personentyp Sinti/Roma/Zigeuner“ wie der Begriff vom „Judentyp“ seinen „Ursprung in der nationalsozialistischen Propaganda“.

Der Klage des Zentralverbandes, des bayerischen Landesverbandes und zweier Auschwitz- Überlebender dürfte der Schlußpunkt in einem jahrzehntelangen Kampf der Sinti und Roma gegen die fortgesetzte Diskriminierung durch staatliche Behörden in Deutschland sein. So waren nach 1945 die „Zigeuner-Rasseakten“ des Reichssicherheitshauptamtes der SS in das bayerische Landeskriminalamt (LKA) übernommen worden. Dabei waren, wie ein Aktenvermerk des LKA aus dem Jahre 1964 belegt, lediglich die Hakenkreuzdeckel und die „Rassegutachten“ zum „Zwecke einer neutralen Firmierung“ entfernt worden. Das Aktenmaterial selbst wurde hingegen weiter genutzt. Severin Weiland