Vom Dschungel in den Schwarzwald

Die Kombination von Standort Deutschland und actionreicher Verfolgungsjagd wäre in Hardy Martins' „Cascadeur. Die Jagd nach dem Bernsteinzimmer“ beinahe gelungen – wäre da nicht die schwache Dramaturgie  ■ Von Cristina Nord

Salto del Angel – Sprung des Engels – heißen die Wasserfälle im Südosten Venezuelas, an denen Hardy Martins Actionfilm „Cascadeur – Die Jagd nach dem Bernsteinzimmer“ seinen Ausgangspunkt nimmt. Der Name ist Programm: Was sich im Wort Kaskade verbindet – das Wasser, das in die Tiefe stürzt, und die akrobatischen Sprünge, die so gruselige Bezeichnungen wie Salto mortale tragen –, wird zur Konstante in Martins' Spektakel. Auch der Ort ist mit Bedacht gewählt. Denn hier, wo sich das Hochland der Gran Sabana erstreckt und der Urwald nicht weit ist, bietet sich die ideale Kulisse für die Suche nach sagenhaften Schätzen. Hier vermuteten die spanischen Eroberer El Dorado, eine Stadt ganz aus Gold, in der die Versprechen der Neuen Welt Wirklichkeit werden sollten. Hierhin verschickten die lateinamerikanischen Romantiker ihre Helden, damit diese der ungezähmten Natur trotzten und am Ende einen Schatz, eine Frau oder sich selbst fanden. Und hierhin verschickt auch Martins seine Protagonistin, die Kunsthistorikerin Christin (Regula Grauwiller), deren Suche in einer klapprigen Propellermaschine über den mächtigen Wasserfällen beginnt. Eine Suche jedoch, die keine legendenumwobene Stadt aus Gold, sondern ein Zimmer ganz aus Bernstein zum Ziel hat.

Weil das bekanntlich nicht in den Mythenfundus der Neuen Welt, sondern in den Mitteleuropas gehört, führen die ersten Szenen von „Cascadeur“ ganz genreuntypisch aus dem Dschungel heraus statt hinein. Der Schatz, den die Helden nach vielen Prüfungen und Rätseln finden werden, wartet zu Hause, nicht im Herzen der Finsternis. Und so spielen sich denn auch die Actionszenen nicht vor exotischem Hintergrund ab. Nein, „Cascadeur“ verlegt Verfolgungsjagden, Stunts, Schlägereien und Massenkarambolagen dorthin, wo wir uns einigermaßen auskennen: in die Münchner Innenstadt, den Schwarzwald, die Rhön. Und siehe da – die Umkehrung funktioniert, solange man sie an Kriterien wie Schnitt, Tempo, Licht und Special Effects mißt. Atemberaubend, wie Motorrad und Go-Kart einander durch Münchner U-Bahn-Schächte hetzen. Wie Martins, bisher als Stuntman und Koordinator tätig, eine Materialschlacht auf der Stadtautobahn hinlegt. Wie er die flatternden Bilder von Christins Sturz aus einem Flugzeug mit der Großaufnahme eines Eichhörnchens parallel montiert. Nur geringfügig übertrieben die Lichtdramaturgie, die die Bösen wahlweise in gleißend helles oder in blaues Licht, die Guten in bernsteinfarbene Schimmer taucht. Beachtlich, wie einfallsreich eine Schießerei im Saal einer Skulpturensammlung inszeniert wird. Und der Vorzüge ließen sich weitere nennen, was um so bemerkenswerter ist, als sich Martins' Budget gerade mal auf 7 Millionen Mark belief – sehr wenig, denkt man an vergleichbare US-amerikanische Produktionen.

Doch all diese Qualitäten reichen nicht, um die Schwächen des Drehbuchs vergessen zu machen. Die Dialoge bergen jede Menge unfreiwillige Komik, kleine wie große Ungereimtheiten häufen sich, Details erhalten für Augenblicke ein Gewicht, das im weiteren Verlauf des Films durch nichts gerechtfertigt wird. Warum beispielsweise muß Christin am Anfang, in der Propellermaschine, inkognito unterwegs sein, weshalb sich unter einer Perücke verstecken, wo doch nichts davon kündet, daß sie bereits verfolgt würde? Warum muß sie all ihre Jiu-Jitsu- und sonstigen Fähigkeiten vergessen, sobald mit Vincent (von Martins selbst verkörpert) der männliche Held ins Spiel kommt? Und wieso mischt der überhaupt mit bei dem tödlichen Treiben, das ihn nichts angeht? „Warum mach' ich das eigentlich?“ fragt er sich nach seiner ersten Verfolgungsjagd, und wie man es auch dreht und wendet, man will die Antwort genausowenig finden wie er. Erst sehr spät, wenn Christin und Vincent von den Ganoven gezwungen werden, weiter nach dem Bernsteinzimmer zu fahnden, bekommt ihr Handeln die Motivation, die ihm so lange fehlte. Was den Figuren ein ums andere Mal glückt – den Absprung im richtigen Augenblick zu finden –, dem Film selbst gelingt es nicht.

„Cascadeur – Die Jagd nach dem Bernsteinzimmer“. Regie: Hardy Martins. Mit Hardy Martins, Regula Grauwiller, Heiner Lauterbach u.a.; D 1998, 106 Min.