Die RAF verschwindet im Nebel

In einem Bericht bekennt das Bundesamt für Verfassungsschutz, was die Behörden über die letzte Generation der Rote Armee Fraktion (RAF) vor deren Auflösung wissen: Fast nichts. Nur drei Köpfe als Restkader  ■ Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) – Seit Mitte der achtziger Jahre haben Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt abgetauchte Linksradikale öffentlich als RAF-Mitglieder zur Fahndung ausgeschrieben, die der Untergrundgruppe niemals angehörten. Zu diesem Urteil kommt das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in einer internen Analyse unter dem Titel „Die Auflösung der RAF“. Das Papier, aus dem die Süddeutsche Zeitung in ihrer gestrigen Ausgabe zitiert, referiert im Grunde die Erkenntnislage des Jahres 1996.

Damals hatte sich der als Kopf der RAF und Mörder von Bankchef Alfred Herrhausen gesuchte Christoph Seidler gestellt. Nach eintägiger Vernehmung kam der angebliche Topterrorist frei, weil er glaubhaft machen konnte, weder am RAF-Attentat auf Herrhausen beteiligt gewesen zu sein, noch jemals der Linksguerilla angehört zu haben.

Dennoch weigert sich die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe bis heute, das Verfahren gegen Seidler einzustellen. Über eine Anklage, sagte Behördensprecherin Eva Schübel gestern, sei noch nicht entschieden. Es werde weiter ermittelt. Schon Ende 1996 häuften sich die Indizien, daß nicht nur Seidler zu Unrecht auf die Fahndungsplakate geriet. Auch andere Militante aus der linken Szene waren Mitte der achtziger Jahre vom Radarschirm der Fahnder verschwunden und landeten dennoch nie bei der RAF. „Hinsichtlich der mit Haftbefehl gesuchten mutmaßlichen RAF-Angehörigen Sabine-Elke Callsen, Andrea Klump, Barbara Meyer, Horst Ludwig-Meyer“, bestätigt jetzt die BfV-Analyse, hätten sich „Zweifel an der tatsächlichen Zugehörigkeit zum Kreis der Illegalen ergeben“. Mit Ausnahme von Horst Ludwig Meyer, gegen den wegen des RAF-Mordes an Siemens-Manager Karl-Heinz Beckurts und dessen Fahrer im Juli 1986 ermittelt wird, war den Genannten auch zuvor nie die Beteiligung an RAF-Anschlägen vorgeworfen worden. Dennoch zierten sie jahrelang die Terroristenplakate.

Nur noch drei Personen werden in dem Kölner Papier als mutmaßliche Mitglieder der letzten RAF- Generation, die im April ihre Auflösung erklärte, aufgelistet. Daniela Klette und Ernst Volker Staub, die beide 1990 abtauchten, und Burkhard Garweg, dessen Verschwinden auffiel, weil er sich auf Aufforderung nicht bei der Bundeswehr meldete. Besonders zu Garweg „weiß keiner irgend was Genaues“, klagte gestern ein Insider.

Die Konterfeis von Klette und Staub tauchten zwar auf den Fahndungsplakaten auf. Doch vorgeworfen wurde auch ihnen lediglich die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Über eine Beteiligung an den letzten Anschlägen der RAF gegen Treuhandchef Detlef Karsten Rohwedder (April 1991) oder den Gefängnisneubau Weiterstadt (März 1993) ist nichts bekannt.

Computeranalysen des BfV sollten da wenigstens Aufschluß darüber geben, ob Diktion, sprachliche Besonderheiten oder Rechtschreibfehler Rückschlüsse auf die Autoren der RAF-Kapitulationserklärung April zulassen. Einige Wendungen, glauben die Kölner Textexegeten, könnten Ernst-Volker Staub zugeordnet werden.

Immerhin sind sich die Verfassungsschützer sicher, daß die „RAF als terroristische Vereinigung nicht mehr existent“ sei. Eine „aktuelle oder konkrete Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik“ gehe von ihr nicht mehr aus. Sorgen bereiten den Kölnern noch vermutete Reste der einstmaligen RAF-Logistik: In Erd- oder sonstigen Depots versteckte Waffen, Sprengstoff, Papiere und „beachtliche Geldbeträge“.