Pick Pockets
: Gegen Summertime-Blues

■ Damit er doch noch kommt: Bücher für den ausbleibenden Sommer

„Das Nomadenleben, welches die unterste Stufe der Zivilisation bezeichnet, findet sich auf der höchsten im allgemein gewordenen Touristenleben wieder.“ Der Satz stammt von Schopenhauer, der natürlich nicht ahnen konnte, daß ein allgemein gewordenes Touristenleben eines Tages in Form von Baller- und Neckermännern wieder auf die unterste Stufe der Zivilisation absinken würde.

Eckhard Henscheid bedient sich jedenfalls der Schopenhauerschen Lebensweisheit als Motto für seine Glosse „Prima, prima Urlaubstips“, die sich im Ferienlesebuch des Heyne-Verlags findet, das trotz seines bemerkenswert geschmacklosen Umschlagbildes eine intelligente Textauswahl zwischen Komik und Spannung liefert. Solche Anthologien vermehren sich zur Urlaubssaison Jahr für Jahr wie Sommersprossen.

Dabei wäre die richtig gewählte Urlaubslektüre vielleicht doch ein probates Mittel gegen den Summertime-Blues. Beispielsweise Jayne Anne Phillips' Roman Sommercamp, in dem es zwar in der brütenden Hitze West-Virginias sukzessive immer ungemütlicher, dafür aber auch um so spannender zugeht. Erzählt wird die Geschichte eines Sommerlagers von pubertierenden Pfadfinderinnen, in deren strenges Reglement eine bedrohliche Außenwelt einsickert. Die meteorologisch wie psychologisch schwüle Atmosphäre tut ein übriges – es kommt zu einem Gewaltausbruch, und dieser Roman wird damit auch zu einer Studie über die Entstehungsbedingungen von Gewalt.

„Ich hab versucht, mir vorzustellen, wie das wäre, eine Welt, in der niemand gequält würde. Ein ruhiges, anhaltendes Glück, wie in einem heißen Sommer, wenn man in einer tiefen Wiese liegt und über sich die Wolken ziehen sieht.“ Das ist die bescheidene Utopie des Erzählers in Uwe Timms inzwischen fast klassisch, zumindest aber, was den Titel betrifft, sprichwörtlich gewordenem Roman „Heißer Sommer“.

Von den vielen Büchern, die über die Studentenbewegung von 1967/68 geschrieben worden sind, ist dies vielleicht deshalb das beständigste, weil es sich von ideologischer Besserwisserei fernhält, dafür aber mit ruhiger, uneitler Präzision die Atmosphäre rekonstruiert, aus der die Revolte hochkochen konnte.

Jener heiße Sommer war auch ein Sommer der sexuellen Befreiung; was da alles unterdrückt und durch Konventionen zugedeckt wurde, das ahnt man bei Lektüre von Edith Whartons Liebesgeschichte „Sommer“. Die aus New York stammende Autorin (1862–1927) wartet zwar mit einem Plot auf, wie er ausgeschwitzter kaum sein könnte – Unschuld vom Lande liebt urbanen Intellektuellen, muß aber den Konventionen Tribut zollen und schließlich ihren miesepetrigen Pflegevater heiraten –, aber der psychologische Scharfblick der Wharton macht aus dieser trivialen Konstruktion eine subtile Abrechnung mit den Entsagungszwängen der bürgerlichen Gesellschaft.

Atmosphärisch verwandt mit Edith Whartons Roman ist Eduard von Keyserlings Novelle „Schwüle Tage“, einem nicht einmal 100 Seiten langen Meisterwerk impressionistischen Erzählens, das aus Andeutungen und Unausgesprochenem größere Spannung erzeugt als so mancher redselige Roman. Die Geschichte spielt Ende des 19. Jahrhunderts auf einem Landgut.

Der Gutserbe ist soeben durchs Abitur gefallen und muß zur Strafe den Sommer in tiefster Provinz verbringen. Abwechslung verspricht da höchstens noch ein erotisches Abenteuer, zu dem es aber nicht kommt, weil... nein, ich verrate es nicht.

Zu lesen an einem heißen Nachmittag im Halbschatten! Klaus Modick

Thomas Tebbe (Hg.): „Schöne Ferien“. Serie Piper

Manfred Kluge (Hg.): „Ferienlesebuch“. Heyne TB

Anne Enderlein/Cornelie Kister (Hg.): „Mücken, Hitze, Sonnenbrand“. Ullstein TB

Jayne Anne Phillips: „Sommercamp“. Fischer TB

Uwe Timm: „Heißer Sommer“. dtv

Edith Wharton: „Sommer“. Serie Piper

Eduard von Keyserling: „Schwüle Tage“. dtv