Basis für wirkliche Versöhnung

■ Professor Gerhard Werle vom Institut für Strafrecht der Berliner Humboldt-Universität über die südafrikanische Wahrheitskommission

taz: Herr Werle, heute stellen der Menschenrechtsausschuß und der Wiedergutmachungsausschuß der sogenannten Wahrheits- und Aussöhnungskommission ihre Arbeit ein. Die Amnestieverfahren gehen weiter bis ins nächste Jahr, es sind 7.000 Anträge eingegangen, zwei Drittel sind bis jetzt bearbeitet. Was war das wesentlich Neue an dieser Kommission?

Gerhard Werle: Wahrheitskommissionen sind eine Art Mittelweg zwischen strafrechtlicher Verfolgung und Generalamnestie. Ziel ist, das vergangene Unrecht offiziell anzuerkennen. Das Neue in Südafrika besteht darin, daß es Straffreiheit nur dann gibt, wenn das die Täter selbst beantragen und ein umfassendes Geständnis ablegen.

Hat das nicht jede Menge Probleme mit sich gebracht?

Die Amnestie bedeutet für den Täter Straffreiheit, aber auch, daß die Opfer ihre zivilrechtlichen Ansprüche verlieren, und zwar sowohl gegen die Täter selbst als auch gegen die Organisation, die dahintersteht, also zum Beispiel den Staat. das halte ich für eine Schwäche dieses Konzepts.

Ist es die einzige?

Nein, hinzu kommt, daß Südafrika darauf verzichtet, das damals gesetzeskonforme Apartheidunrecht aufzuarbeiten und gegebenenfalls strafrechtlich zu verfolgen.

Damit hat ja Südafrika die nationale Strafverfolgung, wie sie vom Internationalen Gerichtshof verstanden wird, aufgegeben?

Südafrika hat es aufgegeben, solche Straftaten zu verfolgen, die nach völkerrechtlichen Maßstäben rechtswidrig waren, die aber nach südafrikanischen Maßstäben legal waren. Das erklärt sich aus dem Zwang zum Kompromiß. Die alten Machthaber haben als Preis für die Machtübergabe verlangt, daß in diesem Bereich keine Strafverfolgung stattfindet.

Und was hat die Wahrheitskommission dann erreicht?

Ihre Stärke liegt darin, daß sie sehr klar den Willen zur Versöhnung zum Ausdruck bringt. Es ist klar geworden, daß es nicht um Rache geht, sondern um Versöhnung.

Kann denn das wirklich funktionieren?

Widerstände und Einwände gibt es von verschiedenen Seiten, so sprechen Unterstützer des alten Systems davon, die Kommission sei doch nur das Ende einer Hexenjagd. Opfer hingegen machen vielfach geltend, daß ihre Rechte nicht hinreichend gewahrt werden. Ich glaube trotz dieser Einwände, daß es zu diesem Vorgehen keine Alternative gab.

Aber warum? Was hat die Kommission gebracht?

Die Anerkennung der Unrechtsvergangenheit. Niemand wird in Zukunft bestreiten können, daß es Todesschwadrone gegeben hat, daß es Folterungen gegeben hat. Es mag nicht die optimale Form sein, daß beispielsweise Folterer straffrei ausgehen. Ich denke dennoch, daß das eine Basis ist, die es der Gesellschaft ermöglicht, zu einer wirklichen Versöhnung zu finden. Dieser Prozeß wird mit dem Ende der Wahrheitskommission nicht abgeschlossen, sondern da fängt er eigentlich erst an. Interview: Jördis Heer