„Rückkehr aller ist noch nicht möglich“

■ Interview mit Carlos Westendorp, Hoher Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft, über die Schwierigkeiten, die Flüchtlinge und Vertriebenen in ihren alten Heimatorten zu integrieren

taz: Während dieses Sommers kommt eine große Welle Vertriebener und Flüchtlinge zurück nach Bosnien-Herzegowina, aus Deutschland allein hunderttausend Menschen. Gibt es überhaupt die Möglichkeiten und Vorbereitungen dafür, so viele Menschen aufzunehmen?

Carlos Westendorp: Flüchtlinge und Vertriebene sollten nicht zurückkehren, wenn es nicht genug Wohnraum gibt. Wir arbeiten jedoch daran, diesen Wohnraum zu schaffen. Dieses Jahr ist das Jahr der Rückkehr – aber es sollte noch nicht das Jahr der Rückkehr in großer Zahl sein. Die Rückkehrer sollten sich vor der Heimreise über den Zustand ihrer Wohnungen und den der Häuser erkundigen können, nicht nur im physischen Sinne, sondern auch im Sinne der Legalität. Alle haben natürlich das Recht, in ihre eigenen Wohnungen zurückzukehren, dies ist mit Dayton verbürgt, aber die Wohnungen sind vielfach durch andere Flüchtlinge besetzt oder sind zerstört. Es bedarf einiger Zeit, da Lösungen zu schaffen. Auch was die Arbeitsbeschaffung betrifft. Eine schnelle und übereilte Flüchtlingsrückkehr wird die Probleme hier verkomplizieren.

Die Regierungen der Hauptaufnahmeländer – Deutschland, die Schweiz und Österreich – versuchen jetzt jedoch, die Flüchtlinge so schnell wie möglich loszuwerden.

Wir wissen alle, was diese Länder für die Flüchtlinge getan haben – mit erheblichen finanziellen Aufwendungen. Die Internationale Gemeinschaft ist dankbar dafür. Leider ist es aber so, daß die Rückkehr nicht über Nacht vollzogen und übers Knie gebrochen werden kann. Sie sollte ein langsamer und organischer Prozeß sein. Sicherlich gibt es immer Wünsche in der Politik, sicherlich gibt es Wahlkämpfe, die andere Seite ist aber die Realität. Und die sollte von allen Regierungen akzeptiert werden.

In manchen Orten sind noch jene Personen und Parteien an der Macht, die für die Vertreibung der Rückkehrer verantwortlich sind. Hat die Internationale Gemeinschaft Instrumente, zu verhindern, daß sie die Rückführung blockieren?

Das wichtigste Instrument ist, jemandem die Möglichkeit zu nehmen, politisch zu arbeiten. Wir haben Kraft unserer Autorität schon mehrmals Funktionsträger aus dem politischen Leben ausgeschlossen. Es gibt aber sogar kriminelle Handlungen, die gegen das Abkommen von Dayton und damit gegen die Rückkehr von Menschen, die ursprünglich hier gewohnt haben, gerichtet sind. Wie in Drvar, wo kroatische Extremisten mit Gewalt gegen die Rückkehr der serbischen Bevölkerung vorgegangen sind. Aber auch in anderen Landesteilen gibt es solche Vorfälle.

Wie kann die Internationale Gemeinschaft dagegen vorgehen?

Diese kriminellen Taten müssen vor einem Gericht verhandelt werden. Die lokalen Richter in diesem Land sind aber von den politischen Parteien und oftmals von den lokalen Autoritäten bestimmt worden, sie sind also nicht unabhängig. Deshalb überlege ich, wie man unabhängige Gerichte installieren kann, vielleicht sogar unter internationaler Beteiligung.

Was ist jetzt das dringlichste Ziel?

Die Sicherheit der Rückkehrer muß gewährleistet werden. Dies ist oberstes Gebot. Wir haben große Anstrengungen über die Internationale Polizei IPTF unternommen, die jeweiligen lokalen Polizeikräfte mit den internationalen Standards der Polizeiarbeit vertraut zu machen. Zudem sind die Friedenstruppen der SFOR dazu aufgerufen, durch ihre Anwesenheit Zwischenfälle vermeiden zu helfen. Alle politischen Kräfte in diesem Lande sollen wissen, daß die Internationale Gemeinschaft das Abkommen von Dayton mit Nachdruck durchsetzen wird. Und im Abkommen von Dayton ist das Recht auf Rückkehr in die Heimatorte verbürgt. Die Aufnahmeländer sollten jedoch auch zur Kenntnis nehmen, daß die Rückkehr der Vertriebenen ein Prozeß ist, der gesteuert werden und intelligent angelegt sein muß.

Interview: Erich Rathfelder