Gänsehaut und Goldmedaillen

15.000 lesbische und schwule AthletInnen nehmen ab heute an den Gay Games in Amsterdam teil. Zwei von 300 HamburgerInnen sind Sybille Bauriedl und Detlev Matzen  ■ Von Tina Fritsche

„Das sind echte Gänsehauterlebnisse – Olympische Spiele in Atlanta oder Barcelona können nicht anders sein.“ Detlev Matzen kommt ins Schwärmen, wenn er an die New Yorker Gay Games 1994 zurückdenkt. Damals kehrte der Lang- und Mittelstreckenläufer mit dreimal Gold und einmal Silber als erfolgreichster europäischer Teilnehmer nach Hamburg zurück. Matzen startet normalerweise für das Leichtathletik-Team des HSV in der Bundesliga und wurde in diesem Jahr mit persönlicher Bestzeit Deutscher Vizemeister im Halbmarathon. Bei den diesjährigen Spielen in Amsterdam würde er gerne wieder auf dem Treppchen stehen; dafür absolviert er sieben Trainingseinheiten pro Woche. „Sicher“, lacht der 40jährige Läufer, „eine Goldmedaille im Halbmarathon wäre ein wunderschöner Abschluß meiner Karriere. Aber das wichtigste bei den Gay Games ist der Spaß, die Begegnung mit den vielen Menschen aus aller Welt.“

Diese Einstellung teilt er mit rund 15.000 AthletInnen aus aller Welt, die bis zum 8. August an den Wettkämpfen in der niederländischen Metropole teilnehmen werden. Unter den 2.400 deutschen SportlerInnen starten rund 300 HamburgerInnen. Die meisten von ihnen sind – wie Matzen selbst auch – in Hamburgs schwulen und lesbischen Sportvereinen Startschuß oder Rasant organisiert. Allerdings ist Vereinszugehörigkeit nicht Bedingung, um bei den Spielen dabeizusein. Auch freie Teams wie die 18 Standardtänzerinnen Dancing Deerns und unorganisierte Einzelkämpferinnen wie Karate-As Reingard Zimmer oder die Tischtennisspielerin Sybille Bauriedl werden Hamburg bei den Gay Games vertreten.

Auch Sybille Bauriedl (31) hat schon Medaillen mit nach Hause zurückgebracht: Gold und Silber bei den lesbisch-schwulen Europameisterschaften 1995 und '96. „Obwohl“, grinst sie verschmitzt, „ich für regelmäßiges Training eigentlich zu undiszipliniert bin.“ Gerade mal für ein, zwei Stunden, erzählt sie, habe sie sich mit ihrer Doppelpartnerin, der Bremerin Kristina Hackmann (28), zur Vorbereitung auf die Gay Games getroffen. Ein Endspiel wollen die beiden trotzdem erreichen. Schließlich sei das am schönsten, denn „dann bist du ganz allein in der Halle, und alle gucken zu“.

Die frühere Bremer Vize-Landesmeisterin spielt seit über zwanzig Jahren Tischtennis. „Mit meiner Mutter im Keller, damit ging's los. Aber irgendwann war ich besser als sie und der Keller zu klein.“ Sie spielte sich in verschiedenen Vereinen bis in die Verbandsliga, resignierte allerdings als offen lebende Lesbe wegen der „unerträglichen konservativen Strukturen, die es vor allem beim Tischtennis gibt“. Seitdem graut es ihr vor Vereinen.

Vor kurzem zog Sybille Bauriedl von Köln nach Hamburg und könnte nun in der Tischtennis-Abteilung von Startschuß eine neue Heimat finden. „Punktspiele auf hohem Niveau mit anderen Lesben und Schwulen – das ist das, wonach ich mich seit Jahren sehne.“ Daß viele SportlerInnen während der aktiven Laufbahn ihr Lesbisch- oder Schwulsein verschweigen, hängt ihr zum Hals raus.

Detlev Matzen, 1996 zu Deutschlands Schwulem Sportler des Jahres gekürt, fühlt sich zwar gut aufgehoben beim HSV und bei der LG Wedel-Pinneberg, „aber auf nationaler und internationaler Funktionärsebene kannst du dir nie sicher sein vor Homophobie“. Die aktuelle Entscheidung der ISU, des Internationalen Eislaufverbandes, Gay Games-TeilnehmerInnen von zukünftigen Wettbewerben auszuschließen, sei ein erschreckender Beleg dafür.

In Hamburg sorgte vor ein paar Jahren der Vorsitzende des Hamburger Sportbundes, Friedel Gütt, mit lesbenfeindlichen Äußerungen für Aufsehen. „Solange SpitzensportlerInnen mit ihrem Outing Sponsorenverträge und Trainingsbedingungen aufs Spiel setzen, müssen wir uns erst recht forsch für unsere Rechte einsetzen, statt uns bequem zurückzulehnen“, meint Matzen. Deshalb seien mutige Bekenntnisse wie die der Tennisspielerin Martina Navratilova, mittlerweile eine der wichtigsten Botschafterinnen der Gay Games, oder des Turmspringers Greg Louganis, besonders wichtig.

Noch aber sind offen schwul oder lesbisch lebende Weltklasse-AthletInnen die Ausnahme. Der Massenauftritt von BreitensportlerInnen bei lesbisch-schwulen Großveranstaltungen bilde dazu das richtige Gegengewicht: „Uns mit unserer Stärke und unserer Vielfalt zu zeigen, ist nicht nur ein Signal für die Heteros“, glaubt Matzen, „sondern auch ein immenses Zeichen der Solidarität für Lesben und Schwule in Ländern, in denen Homosexualität immer noch strafrechtlich sanktioniert wird.“

Bei aller sportlichen und politischen Aufregung geht es für die Gay Games-TeilnehmerInnen vorrangig darum, Teil des weltweit größten sportlich-kulturellen Ereignisses der lesbisch-schwulen Gemeinde zu sein. Rund eine Viertelmillion Menschen werden in Amsterdam erwartet, das holländische Fernsehen sendet live aus der ArenA, Museen präsentieren Sonderausstellungen, Amsterdams Bürgermeister bittet zum Empfang, und unter den 60.000 ZuschauerInnen der Eröffnungsveranstaltung wird auch Königin Beatrix sein.

„Emotional gesehen sind die Gay Games ein Wirbelsturm, der dich für dein Leben prägen kann“, sagt Detlev Matzen. „Wenn wie damals in New York 1,5 Millionen oder wie jetzt in Amsterdam 300.000 Lesben und Schwule zusammenkommen, dann ist das einfach atemberaubend.“

Und kaum hat er das gesagt, zweifelt er auch schon an seiner Ankündigung, mit den diesjährigen Spielen seine Laufbahn zu beenden: „Im Jahr 2002 sind die Gay Games in Sydney – vielleicht könnte ich doch noch in der höchsten Altersklasse mitlaufen.“

Gänsehauterlebnisse sind anscheinend suchtfördernd.