Glückliche Gartenfreuden

■ Am Rande von Blumenthal beackern türkische Ex-Vulkanesen seit fünf Jahren ihre Schrebergärten auf den Sandwehen. Ein Leben im Grünen und nicht nur im eigenen Saft

Huh, Legohaus! denkt der Ankommende und guckt, dem Sparkassenleben des kleinbürgerlichen Blumenthal just entwichen, verblüfft auf die grüne Fläche, die sich vor seinen Füßen bis zum Wald hin ausbreitet. Aber nix Lego, alles echt. So sehen Kleingartenkolonien nun mal aus, wenn sie nicht vom alten Schreber vor hundert Jahren aufgebaut worden sind, sondern grad mal fünf Jahre auf dem Buckel haben: Holzhäuschen in strahlendem Ocker, die groß und selbstbewußt aus wuchernden Kohlköpfen herauslugen, kurzgeschorene Rasenflächen mit Kieswegen – vom Unkraut wagen die nicht mal zu träumen – und Gartenzwerge, nein, keine Gartenzwerge, aber ein paar Fahnenstangen, die winken gleich dreifach herüber: schwarzrotgold und knallrot mit dem Halbmond, dazwischen prächtig rotgelb die Fahne vom Spitzenreiter, von Istanbuls Fußballclub Galataserail.

So ist es und so ist es gut bei den türkisch-deutsch-libanesischen Laubenpiepern vom Verein „Glückliche Gartenfreunde“ auf den Sandwehen im bremischen Norden. Dumm nur, daß es auch hier vom Himmel herunterkommt, bis daß die Blütenblätter der Rosen als kleine Boote durchs Mutterbodenreich schippern. Kenan Balak aber lächelt trotzdem nicht nur mit den Augen über seine 350 Quadratmeter Boden hinweg: „Für mich ist das eine Million wert. Ein Salat. Eine Tomate direkt aus der Hand.“ Zumindest sind es 350 Gründe, sein Leben zusammen mit Seda (“Gott ruft“), der Tochter, draußen im Grünen zu teilen. Sommers und winters – und abends kommen die Frau aus dem Laden (türkische Delikatessen im Sparladen gegenüber vom Bürgerhaus Vegesack) und die erste Tochter vom Euroship und der Sohn von Mercedes.

Um die Rasenflächen wachsen schnur- und kerzengerade zehn Zentimeter Palisadenzaun aus dem Erdreich und hinter dem Haus steht ein blitzblankes Bioklo mit hochgerecktem Schornstein für die Abgase – aus dem holt Herr Balak alle paar Monate den hartgewordenen Dung und vergräbt ihn für spätere Zwecke. Viel Verwandtschaft kommt am Wochenende – in der Woche aber lächelt hier Seda; und der laute, bunte Fernseher unterhält sich mit einem frechen, grauen Papagei. „Quatsch nicht soviel, Ozan!“ – „Yok, yok!“ Das ist eigentlich verboten. Vom Kleingarten-Landesverband. Aber die Auseinandersetzungen um die Glotz-Schüsseln auf den Dächern der Häuschen dauern noch an.

Und Ahmed Mutlu (“Hans im Glück“) hat schon ganz andere Probleme umschifft. Er ist der Chef hier in der Kleingartenkolonie. Der Vereinsvorsitzende. 1991 ging er, das Vagabundieren mit dem Grill unterm Arm endgültig leid, zu Karl Lüneburg, dem Ortsamtsleiter von Blumenthal und fragte: „Karl, können wir auch ein Grundstück haben?“ und „Natürlich, Ahmed“, habe der zu ihm gesagt, sagt Ahmed Mutlu.

Ein Jahr später stach Ralf Fücks feierlich den ersten Spaten in die Sandwehen, noch ein Jahr später „verteilten wir die Parzellen unter uns“, sechzig Parzellen mit rund 350 Quadratmetern auf den Wiesen zwischen dem Wasserschutzgebiet, dem militärischen Übungsgelände und dem kleinbürgerlichen Blumenthal. Und vier Jahre später war „unser schwarzer Tag“, der 15. August 1997, Torschluß bei Vulkan. Für Ahmed Mutlu das Ende von 28 Jahren E-Schweißen, 23 Jahren Betriebsratsarbeit.

„Aber ich hatte ja noch zehn andere Aufgaben“ grinst der 55jährige Vater zweier berühmter Bremer Mutlu-Band-Töchter unter seinem Kleingärtner-Strohhut hervor. Im Blumenthaler Beirat saß er (bis das Karlsruhe-Urteil gegen Kommunales Wahlrecht für Ausländer ihm nach vier Jahren diese Arbeit verbot), im Förderverein türkischer Kinder sitzt er, in der SPD. Und im Kleingartenverein „Glückliche Gartenfreunde“. Sein Garten ist noch nicht soweit wie der seines Freundes Kenan Balak und auch sein Häuschen ist noch nicht so schön eingerichtet. Dafür braucht es Zeit. Die aber hat man nicht immer. Nicht, wenn man sich wegen der Schüsseln am Haus der Freunde mit den Gesetzestreuen herumschlagen muß und auf der Suche ist nach Menschen und Institutionen, die ein bißchen Material übrig haben für das Vereinsheim, das kommende.

ritz